Arme Seelen suchen die Erlösung
Premiere: Bernarda Horres inszeniert „Der jüngste Tag“ von Horvath.
Krefeld. In dieser zähen, dumpfen Luft muss ein jeder um Atem ringen. Hier wandeln die Toten, sind die Lebenden schon ihre eigenen Wiedergänger. Weil sie keine Ruhe finden in ihrer Verzweiflung. Ödön von Horvaths Stücke sind angefüllt mit armen, verblendeten Seelen, die nach Erlösung schreien. Vor allem in diesem "Jüngsten Tag". Bernarda Horres hat diesen als letzte Premiere der Krefelder Theaterspielzeit im Bühnenbild von Anja Jungheinrich in Szene gesetzt.
Es ist heiß auf diesem Bahnhofsperron mit der langen Bankreihe und dem Getränkeautomaten im österreichischen Nirgendwo. "Dich selbst" steht darüber geschrieben. Das emblematische "Erkenne" fehlt. Denn ein Erkennen ihrer Schuld ist dieser kleinen Gesellschaft mediokrer Personen nicht gegeben. Hudetz, der Bahnhofsvorsteher, hat Anna geküsst und dabei das Signal für den Zug vergessen. Was zu vielen Toten führte: "Aber ich habe immer meine Pflicht getan." Anna, die ihn küsste, schwört später einen Meineid. Der Wirt säuft bis zum Erbrechen, Frau Hudetz und die anderen, kleine Halunken und Großschwätzer mit ihren heimlichen Abgründen, treiben dem seelischen Ersticken entgegen.
Diesen ganz speziellen Horvath-Ton des unrettbar Verlorenen trifft die Regie am Anfang nicht. Die Personen rennen ins Leere. Erst später, wenn die Oberfläche über den brodelnden Untiefen bricht, den Personen die ausweglose Schuld und Ratlosigkeit wie Blei in die Glieder gefahren ist und die Szenen für lange Sekunden erstarren, gerät die Mühle der Horvathschen Dramaturgie in Bewegung und beginnt diese armen Seelen zu zermahlen.
Werden sie erlöst? Die Regie hält sich zurück. Im Schlussbildversuchen sich die Toten in Schwimmübungen auf dem Trocknen, schaukeln in einem Schiffchen dahin, und das Liebespaar schreitet über den hoch gehängten Bahngleisen in Zeitlupe aufeinander zu. Wenn man so will, hat Bernarda Horres hier eine Art Fegefeuer angedeutet, und das dauert ja auch eine oder zwei Ewigkeiten.
Schöne Leistungen waren im Ensemble zu bewundern. Denn gerade Horvath, der Dramatiker der leisen Zwischentöne, verlangt nach Differenzierung. Da kann man nichts schnell mal überspielen. Stefan Diekmann ist Hudetz, der Bahnbeamte. Er trägt die Uniform wie einen Panzer. Darin steckt ein strampelndes, haderndes, kleines Männchen, das dennoch zu vielem fähig ist, sogar zum Mord. Ines Krug gibt die gequälte Ehefrau in allen ihren Nöten und Rachegefühlen. Joachim Henschke ist ganz ordinäres Präkariat, wie es die Horvathschen Stücke bevölkert. Floriane Kleinpaß in der sicherlich schwierigen Rolle der jungen Anna findet auf schmalen Grat zwischen jugendlicher Unschuld und Verderbtheit ihren Weg. Und die anderen liefern alle einprägsam diese oft winzigen Versatzstücke, die den Horvath-Ton ausmachen. Das Publikum war begeistert. (2,15 Stunden, einePause; nächste Aufführungen am Mittwoch, Freitag und Samstag, jew. 20 Uhr).