Das Tier im Country-Poeten
Das Krefelder Theater zeigt eine herausragende Hommage an den Sänger Johnny Cash.
Krefeld. Wer die letzten Songs von Johnny Cash hört, empfindet eine seltsame Mischung aus Ehrfurcht, Rührung und Mitgefühl. Da singt ein alter, von langer Krankheit gezeichneter Mann, dessen Lieder nur noch um den Tod kreisen. Seine Stimme, brüchig und hörbar angeschlagen, trägt immer noch die große Kraft eines Lebens in sich, dessen Triumphe und Niederlagen für fünf Leben gereicht hätten.
Wie um alles in der Welt soll man diese Geschichte nacherzählen und ihr gerecht werden, in gut 90 Minuten auf einer Studiobühne in Krefeld? "Johnny Cash - The Beast in Me" von James Edward Lyons steht dort auf dem Spielplan, weniger ein dramaturgisch ausgefeiltes Stück als eine lose Blattsammlung aus Erinnerungen, Gedankenfetzen und viel Musik. Die Ratlosigkeit des Autors im Umgang mit der Ikone spricht aus jeder Zeile, aber das liegt wohl in der Natur der Sache.
Ganz in Schwarz - denn seit den 70ern wollte er keine andere Farbe mehr tragen - steht Johnny Cash (Joachim Henschke) auf der Bühne und blickt zurück: auf seine bitter arme Kindheit in den Baumwollfeldern, den schrecklichen Unfalltod des Bruders, die tiefe Religiosität der Mutter, die Country-Musik, die aus dem Radio drang wie eine Verheißung, der er schließlich folgte.
Am Anfang ist es ein Schock, Henschke als Cash auf der Bühne zu sehen. Zu präsent ist noch das Original, der melancholische, wütende, innerlich gebrochene Cash aus dem Musikvideo "Hurt" und die imposanten, fast Furcht erregend archaischen Schwarz-Weiß-Fotos auf den späten Cash-Alben.
Diese CDs heißen nicht nur "American Recordings", sie klingen auch so: wie eine Verkörperung des guten und des bösen Amerika. Spiritualität und Gewalt, Liebe und Mord, für alle Zeiten festgeschrieben in Cashs einmaliger Stimme und der Fähigkeit, jeden Song auf seinen innersten Kern zu reduzieren. Und nun Henschke. Er lacht zu breit, pflegt Manierismen, sein Englisch holpert gelegentlich. Das soll Johnny Cash sein?
Soll er nicht. Denn anders als im Film "Walk the Line", in dem der Schauspieler Joaquin Phoenix in einer fast gruseligen Verwandlung zum jungen Cash wurde, versucht Henschke keinen Moment lang ein Imitat des alten Cash. Er scheint sich an einem Satz zu orientieren, den Kris Kristofferson gesagt hat: "Er ist ein wandelnder Widerspruch. Halb Wahrheit, halb Fiktion."
Das Wahre an Henschkes Darstellung liegt in der Ausstrahlung, in der Ruhe und der Kraft, die er verkörpert, die sich in brutale Ruhelosigkeit verwandelt, als Cash in der Drogensucht versinkt. Vor allem aber liegt es in der Musik. Henschkes Stimme ist tief und wuchtig wie die von Cash, sie gibt den Wörtern eine Bedeutung und der Verzweiflung ein Ventil.
Im Klischee-Amerika des Bühnenbilds (Janine Hoffmann) mit Autowrack und verrosteter Zapfsäule wird Henschke zum einsamen Poet und Rebell. Die anderen Darsteller - Esther Keil als wunderbar freche June Carter und Tobias Wessler als Cowboy, Prediger und Country-Star für alle Fälle - bringen viel Energie in die wehmütige Grundstimmung.
So erzeugt "The Beast in Me" trotz aller tragischen Töne und dank Cashs alter Gassenhauer beim Publikum durchaus gute Laune - es dankt mit begeistertem Bravos. Die Inszenierung von Matthias Kniesbeck verkommt nie zur biografischen Nummernrevue, sondern entwickelt sich zur musikalischen Hommage mit Tiefgang. Wer mehr will, muss Cash auflegen.