Schauspiel Ein außergewöhnlicher Theaterabend

Krefeld · Die Schauspielsparte des Krefelder Hauses wählte als Auftakt nach der Corona-Pause eine Live-Hörspiel-Version von Schillers Wilhelm Tell.

 Schauspiel unter Corona-Bedingungen am Theater Krefeld und Mönchengladbach mit Schillers „Wilhelm Tell“ als Live-Hörspiel.

Schauspiel unter Corona-Bedingungen am Theater Krefeld und Mönchengladbach mit Schillers „Wilhelm Tell“ als Live-Hörspiel.

Foto: Andreas Bischof

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – mehr denn je befördert die aktuelle Situation, die sich für viele Menschen durch Corona ergeben hat, auf die mehr wahrnehmbare, spürbarere Oberfläche unserer Selbstwahrnehmung. Fast, um ein Haar, hätten wir uns daran gewöhnt, dass Theater, Schauspiel und Co. eben online per Stream zu uns in das Wohnzimmer nach Hause kommt.

Das Live-Hörspiel wurde zuvor aufgeführt – als Stream

Und wie schrecklich wäre es, wenn wir uns wirklich daran gewöhnt hätten, wie trostlos wäre eine Welt, in der man stets vor einem Bildschirm hockt und Kultur durch die Röhre der medialen Vermittlung konsumiert. Zweifelsohne hat Mediales durchaus seinen Reiz und gerade für diejenigen, die durch Corona an das Heim gefesselt sind, kann ein medial vermitteltes Live-Erlebnis, wie etwa der Stream einer Wilhelm-Tell-Lesung vom Theater Krefeld und Mönchengladbach, schon ein Trost sein. Aber es gilt doch stets, man soll Dinge für das nehmen, was sie sind. Und als mediales Format, als das, was es war, funktionierte diese mitreißend gute Version von Schillers Tell als „Live-Hörspiel“ gut.

Doch nun sollte endlich wieder möglich sein, was für viele Schauspielfreunde eine große Sehnsucht gewesen sein durfte. Sowohl für die Macher als auch das Publikum muss die erste „normale“ Aufführung der Schauspielsparte am Theater Krefeld als etwas ausgesprochen Bedeutungsvolles und Herausragendes gelten. Weil sie eben stattfand, ihrer selbst willen, in einer Zeit, in der wegen Corona vieles nicht natürlich und selbstverständlich sein kann. Ein Hauch Normalität unter abnormalen Bedingungen, die nur deshalb da sind, um uns alle zu schützen.

Das Theater hatte sich dazu entschieden, jene Version des „Tells“, die durch fokussierte sprachliche Energie in einer szenisch absoluten Reduziertheit überzeugte, zu dem Auftakt-Stück ihres Corona-Juni-Sonder-Spielplans in der Schauspielsparte zu machen. Einerseits gewiss, weil durch die im Kreis sitzenden Schauspieler auf der großen Bühne die Abstandsregeln tüchtig eingehalten werden können, andererseits vielleicht aber auch, um sich und der Welt zu beweisen, dass selbst unter den widrigsten un-künstlerischsten Bedingungen, die man sich seit langem vorstellen konnte, es möglich ist, das Publikum zu fesseln, es hineinzuziehen in eine den Alltag transzendierende Welt.

War der Weg in das Theater auch ein ungewohnter – mit Maske, Abstand, Eintragung in die Anti-Corona-Matrikel, die jeden, der im Publikum sitzt, nachverfolgbar identifiziert. Betont freundlich und unkompliziert ging aber trotz der etwas steifen Vorschriften alles vonstatten. War auch der Moment, als man mit um die 70 Mitstreitern im Theatersaal saß, spürend wie leer es doch um einen herum ist, ein sonderbar melancholischer. War auch das Zucken bei jedem kleinsten Husten, selbst aus der weiten Ferne der nach Abstandsregeln gesetzten Mitbesucher, ein Reflex, der einem auf schmerzliche Weise klarmachte, dass eben noch nicht alles normal ist. Wurde einem auf frappierende Weise bewusst – auch hier gilt die Macht der Gewöhnung – wie sehr man sich daran gewöhnt hatte, dass zu einem Theaterabend gewisse „Traditionen“ gehören. Eben auch die ganz spezielle Zeit im Foyer, mit dem Gläschen Getränk, vielleicht mit dem einen oder anderen spontanen Gespräch, dem langsamen Schlendern durch die feierlich beleuchteten Vorräume des Kunsttempels – so antiquiert dies auch klingt, prägen diese „Stimmungen“ nach wie vor unser eingebranntes Bild vom Theater.

War das auch alles nun ganz anders – spätestens nach zehn Minuten gelang es den Schauspielern auf der Bühne eine Aura erstehen zu lassen, die sich wie eine unsichtbare Energie zwischen Publikum und Künstlern – mal stärker, mal schwächer – aufbaute. Unter der künstlerischen Leitung von Matthias Gehrt (Dramaturgie: Thomas Blocklhaus) überzeugte dieser mit viel aktueller Umweltthematik bespickte gestraffte, aber dennoch sehr poetische „Tell“ vor allem, wie schon auch bei dem Stream, durch die Präsenz der einzelnen Schauspieler.

Neben Paul Steinbach als Wilhelm Tell, hatten vor allem auch Henning Kallweit (Arnold), Jannike Schubert besonders fesselnde Augenblicke. Was das hervorragende Sprachspiel von Nele Jung, Adrian Linke, Esther Keil, Michael Ophelders, Ronny Tomiska und Bruno Winzen als Erzähler nicht schmälert. Intendant Michael Grosse sprach den lakonisch unerbittlichen Reichsvogt, der Syrer Raafat Daboul, vom Projekt „Das Junge Theater“, würzte seine Rollen mit seiner Muttersprache.

Die 80 Minuten, ohne Pause, wurden durch die Musik von York Ostermayer, die auch schön mit verfremdeten Idiomen aus der schweizerischen Klangwelt spielte, noch kurzweiliger.

Und wie machte sich der erste Schauspielabend zu Corona-Zeiten? Auf eine Art ungewohnt – doch Theater findet immer einen Weg.