Kalkofe in der Kulturfabrik — die Axt im Walde
Drei Stunden geschliffene Boshaftigkeiten über den ganz normalen Alltag im Fernsehen.
Krefeld. Wenn es Oliver Kalkofe nicht gäbe, man müsste ihn erfinden. Seit fast 20 Jahren ist er die personifizierte Rache des gepeinigten deutschen TV-Zuschauers an den Programmmachern. Mit seiner „Mattscheibe“ kanalisiert er die Wut auf die täglichen Kübel medialen Mülls mit Satiren, die sich am äußeren Rand dessen bewegen, was die Meinungsfreiheit noch zulässt. Mit der Frage nach Florett, Degen oder Säbel hält sich Kalkofe nicht lange auf. Er ist die Axt im Walde.
Drei Stunden geschliffene Boshaftigkeit erlebten am Freitag auch die Zuschauer in der fast ausverkauften Kulturfabrik, teils live, teils per Video aus der Konserve. Es sind vor allem diese Klassiker genüsslicher Vernichtung, bei denen sich die Leute Missmut und Fremdscham von der Seele lachen, sei es über die Mini-Playback-Show, Wahlwerbung oder die Steinzeit-Komik eines Fips Asmussen. Dass diese eigentlich fast zeitgeschichtlichen Dokumente bis heute Aktualität ausstrahlen, offenbart das ganze Dilemma des deutschen Fernsehens. Doch auch an seiner eigenen Bühnenpräsenz hat Kalkofe gearbeitet: Locker antwortet er auf Fragen der Zuschauer, verteilt aktuelle Seitenhiebe („Bei Wulff sollte es nicht Ehrensold heißen, sondern Beschissbesoldung oder Verarschungspauschale“) oder schmeißt Spreewaldgurken ins Publikum. Grandios auch, wenn er Hassbriefe vorliest, die Zuschauer an ihn schreiben („Flipper-Fans sind die Al Kaida der Fanbranche“).
Apropos Spreewaldgurke: Deren Image-Botschafter Achim Mentzel ist als zweites Mitglied des „Gernsehclubs“ dabei, zunächst gefesselt und geknebelt, später darf er sogar frei herumlaufen. Der Volksmusikant und Moderator hat eine der erstaunlichsten Karrieren des Fernsehens hinter sich: erst stümpernder Karl Moik des Ostens, dann Kalkofes belächeltes Daueropfer, später dessen kongenialer Partner.
Leicht verkrampft wirkt es, dass Kalkofe seinen „Bruder Schweinebacke“ ständig zurechtweist, zu offensichtlich ist die gegenseitige Sympathie. Mentzel, dessen bewegtes Leben zum roten Faden des Abends wird, ist ein geborenes Bühnentier, das nicht nur musikalisch jedes Genre beherrscht. Mit Selbstironie sammelt er jede Menge Sympathiepunkte und wird mit seiner leutseligen Fröhlichkeit zum perfekten Gegenpol des beißend sarkastischen Kalkofe. Da haben sich zwei gefunden, die sich garantiert niemals gesucht hätten.
Dass sie demnächst auch wieder im Fernsehen ihr Unwesen treiben, ist übrigens eher unwahrscheinlich. Wie Kalkofe ganz offen erzählt, hat Pro Sieben derzeit kein Interesse, eine weitere Staffel der „Mattscheibe“ zu finanzieren. Offenbar sind die Sender immer weniger bereit, die Pickel am eigenen Hintern zu hegen und zu pflegen. Diese Feigheit könnte sie teuer zu stehen kommen: Wenn das Sprachrohr der TV-Wutbürger schweigt, werden die ihrem Ärger anders Luft machen — zum Beispiel per Ausschaltknopf.