Konzert mit Angelika Niescier im Jazzkeller - Die Zeit zerdehnt sich

Konzerte in Krefeld sind für Angelika Niescier Heimspiele: Der Jubel ist entsprechend groß.

Krefeld. Das ist natürlich eine himmelschreiende Untertreibung. „Quite Simply“ nennt die Kölner Altsaxofonistin Angelika Niescier ihre neue Trio-CD, doch weder die Stücke noch die Improvisationen sind „ziemlich einfach“. Im Jazzkeller präsentierte sie das Material jetzt auf Einladung des Jazzklubs vor ausverkauftem Haus.

Die Besetzung ist anders als auf CD: Thomas Morgan (Kontrabass) wird live ersetzt von Chris Tordini, und am Schlagzeug sitzt nicht Tyshawn Sorey, sondern Gene Jackson. Von Ersatzmännern wagt man da kaum zu sprechen. Tordini ist ein angesagter Bassist in der New Yorker Szene, Jackson spielte bereits mit Superstars wie Herbie Hancock.

Niescier ist schon so oft in Krefeld aufgetreten, dass Konzerte hier für sie Heimspiele sind. Sie kokettiert ein wenig damit in ihren Ansagen, aber ansonsten geht sie kompromisslos zur Sache. Gleich das erste Stück ist so energiegeladen wie sperrig.

Ungewöhnliche Intervallsprünge und -kombinationen ergeben Melodielinien ohne Bezug zu gängiger Funktionsharmonik. Niescier spielt freie Musik mit der Aggressivität des Bebop. Jackson unterlegt das mit einem unglaublich komplexen, polyrhythmisch aufgeladenen Beat, Tordini zieht stoisch Ostinati ein.

In Stücken mit balladesken Tempi wird Niescier auf andere Weise anstrengend für ihre Zuhörer. Da bläst sie im Pianissimo, da zerdehnt sie die Zeit. Trotzdem wird da nichts quälend, sondern die Musik — das ist hohe Kunst — behält auch über getragenste Passagen eine ungeheure Spannung.

Das liegt an vielem, unter anderem an Niesciers ausgereifter Phrasierungstechnik, die auch bei ungebundener Rhythmik fassbare Konturen erzeugt. Das liegt an Jacksons Fähigkeit, auch im wie besinnungslos dahin dümpelnden Rubato einen Puls zu vermitteln, wobei ihn Tordini unaufgeregt und gelassen unterstützt.

Viel Applaus für drei Ausnahmemusiker, die äußerst schwierige Musik mit Virtuosität zelebrierten. Das war unter den Jazzklub-Konzerten dieses Jahres mit Abstand das beeindruckendste.