Auftritt in Kulturfabrik Kabarettist Martin Zingsheim: Verzicht ist der Luxus der Gutmenschen

Der Kabarettist Martin Zingsheim rechnet bei seiner Premiere in der Kulturfabrik mit Asketen aller Art ab – und verlässt in Unterhose den Saal.

Martin Zingsheim präsentiert sein neues Programm „Aber bitte mit ohne“ in der Kulturfabrik

Foto: Dirk Jochmann

Der Kölner Kabarettist Martin Zingsheim hat in Krefeld bereits tiefe Spuren hinterlassen. Neben seinen frühen Auftritten auf diversen Kleinbühnen beförderte nicht zuletzt der Gewinn der Krefelder Nachwuchskrähe 2013 seine Karriere. Nur in der Kulturfabrik hinterließ er bislang noch nicht seine Visitenkarte, was er am Sonntagabend aber umso nachhaltiger nachholte.

Der promovierte Kabarettist ist ein kluger Kopf und ein Meister des geschliffenen Wortes. Stakkato-artig prasseln seine Pointen auf das Publikum ein, ohne dass es Atem schöpfen kann. Wer sich wagt zu lachen, läuft Gefahr, dass er den nächsten Anschlag auf die Lachmuskeln verpasst. Deshalb gerät das Lachen mitunter nur zu einem unterdrückten Lächeln oder es gefriert auch schon einmal auf den Lippen, wenn er seine bitterböse Seite zeigt. Etwa, als er das Christentum und seine Würdenträger in all ihrer Scheinheiligkeit kritisiert und den sexuellen Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen als „historische Aufführungspraxis“ brandmarkt. „Und da wollen ehelose Priester in Frauenkleidern uns erzählen, was Liebe ist.“

In seinem neuen Stand-Up-Programm „Aber bitte mit ohne“ nimmt sich Zingsheim das aktuelle Dauerthema Umweltzerstörung und Klimawandel mit dem vieldiskutierten Modetrend Verzicht zur Brust. Seiner Meinung nach gibt es Vieles, auf das man verzichten könne: auf Kunden-Rezensionen, Hobbypsychologen, Online-Petitionen und glutenfreie Sprühsahne – aber besser nicht auf eine eigene Meinung.

Mal bissig, mal spöttisch, mal ironisch, mal milde blickt Zingsheim auf jene, die mitten im Wohlstand den Verzicht entdecken, auf Fleisch, Laktose und Religion. Als Veganer lebe man gesund, das sei aber nur gut für die Tiere, teilt er Seitenhiebe aus. Zu guter Letzt würden auch noch die Überzeugungen über Bord geworfen. Verzicht sei der neue Luxus von Gutmenschen und Weltverbesserern. Auch auf Müll könne man leicht verzichten, zum Beispiel auf überflüssige Verpackungen wie die eingeschweißte Bio-Gurke oder den Seifenspender. „Wo ist das gute alte Stück Seife geblieben, mit dem man ein Leben lang auskam?

Verzichten könne man vor allem auf Konsum und Reichtum. „Schaffen Sie sich mal Kinder an, notfalls eigene, das ist eine Reduktion auf das Wesentliche – allein schon finanziell“, empfiehlt der Vater von vier Kindern und erzeugt Beifall von Betroffenen. Überhaupt gibt sein Einblick in den Alltag seiner sechsköpfigen Familie immer wieder köstliche Beispiele her. Seine Erfahrungen fasst er in einem kapriziösen Papa-Rap zusammen. Schließlich wollte er schon immer einmal Gangster-Rapper werden, wobei seiner Karriere das Abitur und der Respekt von Frauen dazwischengekommen seien.

Der 35-Jährige lebt den Verzicht selbst vor. Das beginnt schon damit, dass er weder Bühnenbild noch Requisiten braucht. Mit dem Nachteil, dass dem Publikum sein musikalisches Talent an diesem Abend gänzlich verborgen bleibt. Seine Kleidung besteht im Wesentlichen aus Jeans und Sweatshirt. Kommentar: „Ich war gestern bei meiner Stilberaterin, aber sie war nicht da.“

Zum Schluss dokumentiert er, was er unter Verzicht versteht. Während er über die Missachtung der Menschenrechte in den Herstellerländern von Kleidern parliert, entledigt er sich nach und nach seiner Klamotten. Bis auf die Unterhose. „Die brauche ich noch, schließlich habe ich vier Kinder.“ Und kehrt zur Freude der Zuschauer unter Riesenapplaus auf die Bühne im weißen Bademantel zurück, in dem er dann im Foyer seine Fan-Artikel verkauft. „Jetzt fühle ich mich wie einst Udo Jürgens – bis ich auf meinen Kontostand gucke.“