Kunst Kunst, die unter die Haut geht
Krefeld · Der in Krefeld lebende Künstler Uwe Esser arbeitet an einem Projekt über ethnische Tattoos. 2019 fuhr er nach Kurdistan – und fotografierte Menschen in Dörfern mit Tätowierungen, die vor allem eins sind: Mode.
Der Künstler Uwe Esser hat kürzlich durch einen Rechtsstreit in Verbindung mit dem international renommierten Künstler Markus Lüpertz für Schlagzeilen gesorgt. Vier Werke des Krefelders sind seit über vier Jahren in China verschollen – mit Exponaten von Künstlern wie Lüpertz und Anselm Kiefer.
Zur Erinnerung: Die Werke von Kiefer und Co. wurden in verschiedenen chinesischen Städten gezeigt, so in Peking, Schanghai und Wuhan. Eigentlich gehören sie einer deutschen Sammlerin mit taiwanesischen Wurzeln. Sie soll ihre Bilder an einen chinesischen Geschäftsmann verliehen haben, der sich mit seiner Firma Bell Art GmbH einen deutsch-chinesischen Kulturaustausch auf die Fahnen geschrieben haben wollte. Doch die Firma ist vom Markt verschwunden. Genauso wie die Werke. Es soll um einen Wert in Höhe von rund 300 Millionen Euro gehen.
Doch vor dem Krefelder Amtsgericht ging es erst mal nicht weiter, der Chinese kam nicht, das Verfahren wird fortgesetzt. Genauso wie die Arbeit des 60-jährigen Wahl-Krefelders, der sich auch von der Corona-Pandemie nicht ins Abseits manövrieren lässt. Schon im vergangenen Jahr hatte er ein neues Kunstprojekt im Visier, das im wortwörtlichen Sinne unter die Haut geht: Er fotografierte Menschen in der Türkei unter anderem mit sogenannten „Clan-Tattoos“. Sie geben Aufschluss über Standeszugehörigkeiten – waren häufig aber genau das, was sie hierzulande sind: Zeichen für Aufmerksamkeit, Individualität und Schmuck. Kurz gesagt: Mode.
Zielrichtung des Projekts von Uwe Esser, die Bilder auf der Haut in veränderter Form und auf großformatigen, illuminierten Objekten zu zeigen. Die Installation soll 2021 in einer Ausstellung in der Milli Reasürans Sanat Galerisi, einer Kunsthalle in Istanbul gezeigt werden.
Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg – nicht nur wegen der weiterhin unklaren Situation im Zusammenhang mit dem Corona-Virus. Denn die Realisierungsphase der später meterhohen und dann auch illuminierten Objekte hat gerade erst begonnen.
Fast schon entspannt blickt der Künstler deshalb jetzt auf die Reise in die Türkei zurück – eine Grenzerfahrung. „In der kurdischen Provinz Mardin, die vom Auswärtigen Amt zum Risikogebiet erklärt worden ist, sind wir drei Tage lang über die Dörfer gefahren.“ Das freilich nicht ohne einen kurdischen Dolmetscher. Ihn benötigte er auch als „Türöffner“, um schließlich nicht nur die Menschen mit Tätowierungen seiner Wahl im Grenzgebiet zu Syrien zu finden, sondern auch etwas darüber zu erfahren. „Mit den Menschen zu sprechen, das ist mir natürlich auch wichtig gewesen.“
Dolmetscher Hakan führte den in Krefeld lebenden Künstler schließlich zu dessen Familie. „Wir haben uns in seinem Clan durchgefragt.“ Gefunden hat er schließlich Menschen, die, nach anfänglicher Skepsis, sehr offen zu ihm waren und ihm auch das eine oder andere Geheimnis mit auf den Weg gaben. So erfuhr er von einer älteren Frau, dass sie sich als sehr junges Mädchen aus Modegründen für eine Tätowierung entschieden hatte. „Da sie das noch nicht durfte, gerne aber an einer sichtbaren Stelle ihren Hautschmuck tragen wollte, wählte sie den Bereich um ihren Mund. Den konnte sie bis zu ihrer Volljährigkeit mit dem Schleier verhüllen.“ So habe es keinen Ärger mit dem Vater geben können.
„Es geht sehr häufig um Beauty“, erklärt Uwe Esser. Das stehe nicht im Widerspruch zur möglichen Hauptmotivation: Clan-Tattoos, die ein Zeichen für die Herkunft der jeweiligen Familie sind, nennt der Künstler als Erstes zur Frage, was zumeist das Motiv für die Tätowierung ist. Und auch um die Verarbeitung von Schicksalen gehe es: Die Konfiguration schwarzer Punkte könne beispielsweise darauf hindeuten, dass die Frau ein Kind verloren habe und mit der Zeichnung auf der Haut ihre anderen Kinder schützen wolle. Besonders wichtig seien den 60 bis 100 Jahren alten Frauen, die Esser für sein Kunstprojekt zumeist befragte, dass die Tätowierungen auch gezeigt werden können – vornehmlich im Gesicht. Auch an Fußknöcheln, Handgelenken und – wie in unseren Kulturkreisen – in Tabubereichen finden sich laut Esser die meisten Zeichen. „Es gibt natürlich auch einen Impetus, dass ein Tattoo auch Bekenntnis ist“, sagt Esser. So mit entsprechenden Zahlen, Symbolen und Farben für Fußballvereine.
Derzeit entstehen im Atelier von Esser in Krefeld die ersten Module der späteren Installation. Einen Vorgeschmack auf die künstlerische Annäherung Essers zu dem Thema haben Interessenten bereits bei einer Ausstellung Essers in Tübingen bekommen. „Ich interessiere mich in der Malerei für die Komplexität von Bildern, die sich in mehreren Schichten übereinander ausdrücken kann“, sagt er. „Es ist wichtig, auch die Körperlichkeit zu verarbeiten.“ Dabei dient also nicht nur die eigentliche Tätowierung als Grundlage für das, was der Künstler später erarbeitet, sondern auch die entsprechenden Körperteile sind es.
So bildete Esser in älteren Arbeiten beispielsweise nicht nur den „Samureikämpfer“ eines Mannes aus einem Kölner Tätowierstudio ab, sondern auch Teile des Ohrs von ihm. „Ich spiele gerne mit den Figuren“, sagt der 60-Jährige, der als Technik auch Fotoprogramme seines Rechners einsetzt, beispielsweise für Verzerrungen. So wandeln sich beispielsweise Köpfe zu Fischformen. Das, was entsteht, wird später auf bis zu drei Meter große Platten aus glasfaserverstärkten Kunststoffen projiziert und für die kommende Installation auch gebogen, um eine weitere Tiefe und Figürlichkeit herzustellen. Hier arbeitet Esser mit der Krefelder Firma Domovari zusammen, die eigentlich für die Modernisierung von Badezimmern zuständig ist. Unterstützt wird der Künstler von der Kunststiftung NRW.
Und schließlich: Unter anderem geht es Uwe Esser auch darum, „das Phänomen Migration in der Kunst aufzuarbeiten“ und sich einem Rätsel anzunähern: „Viele Menschen hierzulande möchten keine Migration, tragen aber Tattoos von Maoris auf ihrem Körper.“