Kunstmuseen Krefeld Kunst per Post im Museum
Krefeld · „Stay Home / Mail Art!“ zeigt die Einsendungen im Rahmen eines besonderen Projekts am KWM, das während der Corona-Schließung geboren war.
Mitten in der Hochphase der Corona-Krise mussten Kulturorte wie die Kunstmuseen Krefeld sich Gedanken machen, wie sie mit ihrem Publikum trotz der verordneten Schließungen in Kontakt bleiben können. In Zeiten, in denen wir alle möglichst zu Hause und auf Abstand bleiben sollten, um uns und andere vor dem Virus zu schützen, bedurfte es alternativer Ideen, um als Museum weiterhin signalisieren zu können: Auch wenn wir nicht öffnen dürfen, wir sind noch da und werden es hoffentlich bald auch wieder ganz real für alle sein dürfen.
Jede Einsendung wurde Teil der Ausstellung im KWM
Um die Zeit der Schließung zu überbrücken, hatten die Verantwortlichen der Kunstmuseen mehrere Wege gefunden, unter anderem wurden die Aktivitäten auf den sozialen Medien intensiviert. Und da gab es dann noch eine besondere – sehr charmante – Idee, die den Kontakt über Distanz zwischen Museum und Publikum möglich machen sollte. Wie sich herausstellte durchaus auch über die örtlichen Grenzen hinweg, bis ins weitgefasste Ausland. Unter dem Motto „Stay Home / Mail Art!“ – Bleib zu Hause, versende Kunst – riefen die Museen online dazu auf, eigene Kunst zu machen und diese per Post an das Museum zu schicken. Der Clou allerdings sollte sein, dass diese „Mail Art“ später ausgestellt werden solle. Im Museum. Somit hatte jeder Einsender die Chance, auch mal selbst Teil einer Ausstellung im Kaiser-Wilhelm-Museum zu sein. Und dies weitestgehend ungefiltert, denn die Exponate wurden weder juriert noch nach kuratorischen Gesichtspunkten sortiert. Gleichrangig sollten Einsendungen von allen Menschen, ob Künstler oder nicht, nebeneinanderstehen. Aber sind wir nicht im Grunde alle Künstler?
Nun, nachdem das Museum wieder öffnen durfte, ist es so weit. Die rund 200 Arbeiten aus aller Welt, die dem Museum zugeschickt worden waren, sind jetzt im Studio 2 ausgestellt. Eigentlich sind es, rechnet man E-Mails mit mehreren Bildern einzeln, sogar mehr. Teilweise an den Wänden hängend oder auch in Schaukästen zeigt sich eine überwältigende Vielfalt an kleinen oder auch mal etwas größeren Exponaten, die allesamt per Post geschickt worden waren. Unter dieser Post-Kunst findet sich eine überaus vielseitige Bandbreite an Zugängen. Manche „Briefe“ stammen von professionellen Künstlern, wiederum andere sind Produkte auch von Kindern. Vieles dreht sich um den Virus oder die Folgen, so vielschichtig sie waren und sind, aber nicht nur. Es gibt ganz „klassische“ Postkarten, Zeichnungen, Collagen, Drucke, Texte, bunt schwarzweiß, auf verschiedenen Papieren – wobei das obligatorische Toilettenpapier, das durch Hamsterkäufe zu einem frühen indes auch sarkastisch aufgeladenen Zeichen der Auswirkungen der Pandemie wurde, nicht fehlen darf. In der Vielfalt dessen, was sich hier findet, mag man sich fast ein bisschen verloren fühlen, als der Betrachter, immer auch nach Ordnung und Zuordnung sucht. Immerhin ist es in manchen Momenten sehr schwer für sich zu entscheiden, was von dem, was da sichtbar ist, nun Kunst ist und was nicht.
Aber darum geht es nicht, wenngleich es schon eine Erkenntnis sein kann, wie ungestört Exponate aus Künstlerhand und der Hobby-Ecke koexistieren können. Was in beide Richtung Fragen aufwirft – aber dieses Thema muss an einer anderen Stelle diskutiert werden. Die Einsendungen sind, auch was den Ort ihres Ursprungs angeht, durchaus weitgespannt. Neben Krefeld, fand Post aus Berlin, München, Bremen, Dresden, aber auch aus Italien, Belgien, den Niederlanden, Österreich, Großbritannien, Kanada oder den USA den Weg zum Museum.
Viele Einsendungen sind auch per E-Mail geschickt worden und können mittels eines Tablets erkundet werden.
Wenn man sich nicht besuchen kann, schreibt man sich Briefe. Was früher selbstverständlich in Papierform geschah, ist heute häufig eher ein digitales Übermitteln von Gedanken. Was früher eine kleine eigene Kunst für sich war – das Schreiben dem Anlass entsprechender Korrespondenz, bis hin zu der ganz eigenen Welt der Postkarten, verlor irgendwann seinen Zauber. Wurde etwas Alltägliches; um dann als besondere Kunstform von Künstlern wieder entdeckt zu werden. Irgendwann entstand die Idee von „Mail Art“ (Postkunst), bei der der Brief – wie auch immer er ausgestaltet sein mag – selbst zum Kunstobjekt erklärt wurde.
Oder noch konzeptueller: Die Idee eines Netzwerks, postalischer Art, wird selbst als ein von den Teilnehmern am Leben gehaltenes System zu einem Kunstgeflecht. Ideengeber für die Aktion war übrigens die museumseigene Sammlung an Mail-Art-Werken des berühmten britischen Künstlerduos Gilbert & George. Dabei ist Mail-Art aber auch Nische und hat bis heute durchaus einige sehr in ihrer Welt abgeschlossene Anhänger. Eine Szene. Aus dieser Ecke gab es auch etliche Einsendungen.
Aber auch wenn man von der eigentlichen „Mail Art“ als Genre absieht, ist diese kleine Ausstellung sehr bemerkenswert, weil sie mit den Exponaten einen Spiegel der gesamten Gesellschaft in das Museum holt, ungefiltert und pur. Gerecht werden könnte man den einzelnen Exponaten oder auch Exponaten-Gruppen eigentlich nur, wenn man sich ihnen einzeln widmen würde; so unterschiedlich sind sie, mit so verschiedenen ästhetischen Sphären, Regeln, Perspektiven.
Alle, die Ihre Mail-Art an das Museum geschickt hatten, wurden eingeladen, das Kaiser-Wilhelm-Museum bei freiem Eintritt zu besuchen. Zwei von den Teilnehmern konnten offenbar kaum erwarten, die kleine Ausstellung im Studio 2, dem Kreativlabor des KWMs, zu sehen. Mit ihrer eigenen Kunst. Jan hartmann und Daniela Herbst gehörten zu den ersten Besuchern der neuen Ausstellung. Diese wird – soweit unter den stetig wechselnden Bedingungen möglich – auch museumspädagogisch begleitet werden, wie Kunstvermittler Thomas Janzen erklärte. Zudem kann jeder Besucher selbst vor Ort eine Postkarte gestalten und adressieren, welche dann vom Museum verschickt wird. Der Kreislauf der Mail-Art, das autopoietische System, das selbst zur Kunst wird, weil es sich fast verhält wie ein organisches Gefüge, lebt weiter. Die Ausstellung im KWM wird bis zum 11. Oktober gezeigt.