Krefeld KWM: Vorbeigeschaut bei Beuys, Monet und Co.
Sechs Jahre war das Kaiser-Wilhelm-Museum im Herzen Krefelds geschlossen. Jetzt zeigt die Ausstellung „Das Abenteuer unserer Sammlung I“ Kunst aus unterschiedlichen Zeiten im Dialog.
Krefeld. Sie haben nicht viel Zeit? Das macht nichts. Sollten Sie das Kaiser-Wilhelm-Museum (KWM) in Krefeld betreten, und wenn es nur ist, um von Raum zu Raum zu eilen, dann werden Sie wiederkommen. Vielleicht mit ein bisschen mehr Zeit. Vielleicht nur, um sich einem Werk oder einem Raum besonders zu widmen. Während sich in anderen Museen Touristenmassen durch die Gänge schieben, ist das Museum mitten in der Innenstadt Krefelds ein guter Ort, um auch nur mal eben in der Mittagspause vorbeizuschauen.
Nehmen Sie sich einige Minuten, um der roten Lampe auf dem kleinen Holzschreibtisch in dem abgedunkelten Arbeitszimmer beim Leuchten zuzuschauen. Daneben stehen zwei Regale, die als Aufbewahrung für Krimskrams dienen. Flaschen, Bücher, Werkzeug und ein Hufeisen. Je länger Sie hinschauen, desto mehr Details werden Sie entdecken. Hier sieht es aus wie in vielen Kellern der Welt, der Besitzer scheint jeden Moment zurückzukehren. Doch das wird nicht passieren. Denn der war Künstler Joseph Beuys, gestorben 1986. Seine Installation „Barraque D’Dull Odde“ ist einer der Höhepunkte der neuen Ausstellung „Das Abenteuer unserer Sammlung I“ im KWM.
Das Kunstmuseum war sechs Jahre lang geschlossen. Am 2. Juli wurde es wiedereröffnet. Das Haus hat sich in dieser Zeit stark verändert, die Decken sind höher, Oberlichter erhellen die Räume. Gebaut wurde das Museum 1894, durch einen Umbau in den 60er Jahren schienen viele historische Details verloren. Dank der jüngsten Sanierung treffen originale Bauelemente nun auf moderne Architektur.
Das ist aber nicht das Entscheidende. Beherrschend ist die Kunst. Hinter der historischen Fassade werden momentan 370 Werke der 14 000 Exponate umfassenden Sammlung ausgestellt. Während der ein oder andere gähnt, wenn er das Wort Museum hört, und an verstaubte alte Bilder denkt, die da eben so rumhängen, beweist die Ausstellung von Museumsdirektor und Beuys-Schüler Martin Hentschel, wie aufwühlend, beruhigend und überraschend Kunst sein kann.
Wenn Sie sich das Werk von Fabian Marcaccio „The Lynching of Mary Turner“ anschauen, ist es, als würden Sie einen schockierenden Artikel über eine brutale Bluttat in der Zeitung lesen. Je näher Sie am Bild stehen, desto weniger erkennen Sie. Treten Sie deshalb einige Schritte zurück. Aus Plastik, Silikon und Seilen hat der Künstler mithilfe eines 3D-Druckers eine furchtbare Szene der US-Geschichte dargestellt. 1918 wurde in Georgia die 21-jährige Afroamerikanerin Mary Turner, im achten Monat schwanger, von einem weißen Mob brutal ermordet. Es braucht einige Minuten, bis Sie das Bild verdaut haben.
Auf andere Gedanken kommen Sie am Werk „Optophonium I“ von Hermann Goepfert aus dem Jahr 1961. Während Sie durch die Räume streifen, fängt das riesen Objekt aus 57 weißen Aluminiumplatten plötzlich an zu blitzen und aus den sechs Lautsprechern ertönt eine bedrohliche Musik. Haben Sie sich von dem Schreck erholt? Dann wartet im nächsten Raum das moderne Äquivalent. James Webb hat 2014 aus Holz und Stahl riesige schwarze Lautsprecher geformt, die „You won’t fool the children of the revolution“ abspielen. Schocken kann Sie das in diesem Moment nicht mehr, aber lange in der Nähe stehen, ist auch schwer.
Wie der Titel der Ausstellung vorschreibt, werden vor allem Werke aus der eigenen Sammlung gezeigt, die Hentschel wie beschrieben in Bezug zueinander stellt, unabhängig von ihrer Entstehungszeit. Eine Herausforderung. Von Raum zu Raum wechseln Gattungen und Zeiten.
Es werden Dinge kombiniert, die scheinbar nicht zusammengehören: Neben den abstrakten Werken von Norbert Prangenberg hängen Bilder mit religiösen Motiven. Nehmen Sie sich ruhig Zeit für die Frage: Was verbindet die offensichtlich so unterschiedlichen Werke? Vielleicht finden Sie auf einem erklärenden Handzettel an der Wand die Antwort. Bei anderen Werken drängt sich eher der Verdacht auf, die ausgestellten Stücke würden vom selben Künstler stammen. Beim Lesen der Beschriftung stellt sich allerdings heraus, dass die „Sinflut I“ von Wassily Kandinsky stammt und er sein Werk 41 Jahre vor Ernst Wilhelm Nays „Komposition Rot-Gelb“ gemalt hat.
Vielleicht haben Sie diese Werke aber auch gar nicht gesehen, weil Sie einfach die Beuys-Räume nicht verlassen haben. Der Gedanke, dass das Chaos in den Regalen haarklein von dem Künstler geplant wurde und es ein halbes Jahr gedauerte, alle 650 Einzelstücke zu entstauben und zu restaurieren, fesselt. Selbst der alte Teppich wurde entfernt. Das Regal wurde dafür aber keinen Millimeter von der Stelle bewegt. Unter den Füßen liegt immer noch Teppich. Es ist übrigens neben dem „Block Beuys“ in Darmstadt die einzige erhaltene Installation, die Beuys selbst eingerichtet hat.
Ob eine halbe Stunde, ein ganzer Tag oder ein zweites und drittes Mal: Hier spricht Kunst für sich — und zu jedermann.