Literarischer Sommer: Schönstes Buch ist ein Atlas
Bei der letzten Lesung erzählt Judith Schalansky skurrile Geschichten von 50 einsamen Inseln.
Krefeld. Skurril und komisch ist die letzte Lesung des Literarischen Sommers in Krefeld: Judith Schalansky liest aus ihrem "Atlas der abgelegenen Inseln". Und da fängt das Ungewöhnliche schon an. Denn wie kann man bitte aus einem Atlas vorlesen? Eben wenn man zu jeder einzelnen Karte auch eine Geschichte verfasst hat.
Das hat die 30-Jährige, mit einem ausgeprägten Sinn für das Abseitige und Merkwürdige, in neun Monaten getan. Und nicht nur das. Judith Schalansky entwickelt die Idee dazu, forscht im Internet und in den Lesesälen der Berliner Bibliotheken, sucht auf Landkarten nach Inseln und durchstöbert Berge von Reiseberichten.
Dann zeichnet sie zu jeder Insel eine Karte und schreibt eine Geschichte. Sie entwickelt das Layout und gestaltet für das ganze einen blassblauen Einband. Nur das Drucken und Binden hat sie dem Mare-Verlag in Hamburg überlassen. Am Ende kam das "Schönste Buch des Jahres 2009" heraus, ausgezeichnet von der Stiftung Buchkunst.
Aus ihrem Buch liest sie im Geologischen Dienst vor 125 Zuhörern, wo man ihr auf den knallroten Tisch eine Globusleuchte gestellt hat: "Zum ersten Mal ist jemand auf diese Idee gekommen", sagt sie erfreut. Gastgeber Professor Josef Klostermann stellt einen netten inhaltlichen Bezug her: "Vor 30 Millionen Jahren gab es hier auch Inseln", erklärt er.
Die 50 Inseln in Schalanskys Buch allerdings existieren noch: "Es sind Orte im Nirgendwo", sagt die Autorin. Die man auch gerne Schriftstellerin nennen mag, denn ihre Geschichten haben einen ganz besonderen Ton und heben jeweils einen ungewöhnlichen oder unerwarteten Aspekt des Eilands hervor.
Rapa Iti liegt in Französisch-Polynesien. Die Geschichte dieser Insel beginnt in den Vogesen, wo ein kleiner Junge mit fremder Zunge spricht und am Ende auf die Insel seiner Sprache auswandert. Oder St. Kilda vor den Äußeren Hebriden.
Hier erzählt Schalansky von einer schrecklichen Sterblichkeit unter Neugeborenen im 19. Jahrhundert und erklärt es den Zuhörern dann: "Die einzige Hebamme auf der Insel hatte Tetanus und hat wohl alle Babys angesteckt." Auch eine Insel der Enttäuschung gibt es in dem Buch, eine weitere heißt "Einsamkeit". Und die Schatzinsel hat natürlich auch ihren Platz. Die Autorin erklärt noch interessante Dinge zu ihren Inseln.
Das Buch stellt sich als eine kleine Sammlung großer Weisheiten dar, wie etwa ihre Überlegung zum Paradies: "Die Idee ist gut, aber der Mensch ist noch nicht so weit", resümiert Judith Schalansky an einer Stelle. Inseln sind Orte der Sehnsucht, aber wohl nur für die, die nicht dort sind und dort bleiben müssen.