Lutherkirche: Aufmarsch der Orgeltouristen

Der Ruf der Walcker-Orgel dringt längst über Krefeld hinaus. Am Dienstag kamen vier Reisebusse mit Gästen aus dem In- und Ausland.

Krefeld. Dieter Wallenfang streckt seinen Kopf durch den Spalt der Kirchentür. Sind das etwa schon die Reisebusse? Nein, der Lutherplatz liegt verschlafen da, Ruhe vor dem Sturm. Wallenfangs Ehefrau Annerose tritt ebenfalls nach draußen. „180 Leute, ich weiß nicht, wie das gehen soll“, murmelt sie. „Die müssen ja auch alle zur Toilette.“ Gott sei Dank sind die Klos beschildert.

Am Vortag haben die Wallenfangs gemeinsam mit einem dutzend Mitstreitern vom Förderverein Walcker-Orgel die halbe Kirche geputzt. Empore, Kanzel und natürlich vor allem jenes Instrument, für das sie von 2002 bis 2010 gekämpft und gesammelt haben, bis es schließlich wieder so romantisch klang wie bei seiner Einweihung im Jahr 1904.

Der Ruf dieser Orgel dringt längst über Krefeld hinaus. Für Mittwoch hat sich die Gesellschaft der Orgelfreunde (GdO) angesagt, die zurzeit in Köln tagt. Vier Reisebusse sind um 8.30 Uhr am Dom losgefahren, das Tagesprogramm ist eng. 180 Organisten, Orgelbauer und Hobby-Organologen, viele im Rentenalter, müssen Punkt 10.45 Uhr wieder im Bus sitzen. Dann geht es weiter nach Neuss, Rheydt und Bedburg-Kirchherten.

„Das ist ein großer Tag“, sagt Karlheinz Schüffler. „Vielleicht der wichtigste seit der Wieder-Einweihung.“ Der Organist, jahrelang einer der Vorkämpfer des Fördervereins, hat sich einige Minuten lang eingespielt, jetzt wartet er in nervöser Vorfreude auf die Ankunft der Massen. Für sie wird er Rheinberger spielen, Reger und Kodaly — Musik, komponiert für Orgeln wie diese.

Plötzlich kommt Unruhe auf. Der erste Bus ist angekommen, bald strömen dutzende Orgeltouristen in die Kirche, viele fotografieren, kaufen Broschüren und CDs. Die Bänke füllen sich schnell, kein alltäglicher Anblick mehr in deutschen Kirchen. Tagungsleiter Stefan Braun eilt nach vorne zum Organisten, es ist schon nach halb zehn. „Die Busfahrer müssen noch lernen: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil“, entschuldigt er sich.

Unter den Besuchern erblickt man auch junge Gesichter, so wie das von Simon Botschen. Im Gegensatz zu den Gästen aus Tokio oder Paris hatte er es nicht weit. Botschen ist Organist in der benachbarten Gemeinde St. Johann Baptist — ein ungewöhnlicher Nebenjob für einen 19-Jährigen. „Orgeln haben mich schon als Kind bei der Oma in Oedt fasziniert. Gespielt habe ich, sobald die Beine lang genug waren.“

Am Eingang hält Karstjen Schüffler-Rhode, Ehefrau des Organisten, die Fäden zusammen. Sie begrüßt die Gäste, verteilt Kopien des Programms und achtet darauf, dass die Eingangstür nicht zu laut zuschlägt. „Dieser Besuch ist eine große Ehre“, flüstert sie. „Die GdO kommt nicht spaßeshalber irgendwo vorbei.“ Wer auf diesen Touren mitfahre, der sei „orgelbesessen“, erklärt Schüffler-Rhode. Es klingt wie ein Kompliment.

Wenig später steht Schüffler-Rhode winkend in der letzten Reihe und deutet auf ihre Armbanduhr. Zwölf Minuten sollte der brandenburgische Orgelrestaurator Christian Scheffler reden, nun sind es gefühlte 20. „An einer Walcker-Orgel ist nichts zu verbessern“, sagt er. „Sie muss nur gut restauriert werden.“

In Krefeld war das dringend nötig. Scheffler imitiert mit dem Mund ein flaches Rauschen — so klang die Orgel vor der Restaurierung. Auf „Risse, Risse, Risse“ sei man im Innenraum gestoßen: „So was habe ich noch nie gesehen.“ Scheffler, ein freundlicher Vollbartträger um die 60, hält ein Plädoyer für die pneumatische Orgel. „Wenn bei den modernen Instrumenten irgendein Controller oder Router ausfällt, ist Feierabend“, sagt er. Auch der Klang sei nicht zu vergleichen. „Setzen Sie sich bei der Walcker-Orgel an den Spieltisch, und Sie fallen wie in Abrahams Schoß.“

Organist Schüffler nimmt dort Platz, nachdem Orgelbauer Scheffler den inzwischen ebenfalls winkenden Tagungsleiter Braun bemerkt hat. Schüffler zieht alle Register — von sanft bis dröhnend. Diese Orgel, sagt er, sei eine „lebendige Landschaft“.

Das dürfte auch Dieter Wallenfang so empfinden, der seit 30 Jahren mit der GdO auf Orgeltour geht und nun das erste Mal auf Seiten der Gastgeber stand. Schon als Junge, sagt er, habe er gelegentlich Ärger mit der Mutter bekommen, weil er dem Pfarrer so wenig Beachtung schenkte: „Ich habe mich ständig Richtung Orgel umgedreht.“