Nach Ladenschluss in der Buchhandlung: Literatur, Käse und Rotwein
Bei der „Spätlese“ in Joachim Kurschats Geschäft an der Dionysiusstraße treffen sich Lesefreunde zum regelmäßigen Austausch.
Krefeld. Ganz hinten auf dem roten Sessel hat sich eine Dame in einen Bildband über das Wohnen vertieft. Vorne schmökert eine andere in einer Anthologie. Eine dritte holt sich ein paar Käsewürfel in ihre Ecke: Im Anderen Buchladen wird wieder einmal Spätlese gehalten.
Jeden zweiten Dienstag im Monat können Bücherfreunde nach Ladenschluss aus Herzenslust stöbern. Dazu wird Wein gereicht — rot oder weiß — außerdem Käse und Baguette. Kostenpunkt: sieben Euro. Nicht gerechnet natürlich die Lektüre, die man sich vielleicht mit nach Hause nimmt.
Uta Schweers, die Dame auf dem roten Sessel, kommt fast immer zu diesen Abenden in die Dionysiusstraße. „Ich lese sehr viel“, sagt sie, „und hier habe ich die Muße, alles in Ruhe anzuschauen.“ An diesem Abend hat sie sich Bildbände übers Einrichten der Wohnung herausgesucht: „Ich bin vom Wohnen fasziniert“, sagt sie. Nach zwei Stunden genüsslicher Lektüre hat sie sich für ein Buch entschieden, in dem es um die Farben beim Interieur geht.
Zwischendurch hat sie sich mit einer anderen Leserin ausgetauscht und man hat sich über ein Bilderbuch mit Fischen in allerhand verschiedenen Gemütslagen amüsiert. Bei der Spätlese wechseln sich ruhige atmosphärische Viertelstunden mit leisen Gesprächsminuten ab.
Die Grundschullehrerin Susanne Lohmann hält das Kinderbuch mit den Fischen in Händen, über das alle Gäste des Abends schmunzeln. Sie kommt aus Tönisvorst hierher und interessiert sich für die Lektürevorschläge. Sie schaut zudem nach Reiseliteratur. „Hier habe ich vor einiger Zeit bereits einen Reiseführer gefunden, mit dem ich sehr gut allein in China unterwegs sein konnte“, sagt sie.
Auch die Krefelderin Ulla Gessner ist zufällig bei der Spätlese. Sie lebt in Israel und geht bei Besuchen in der Heimatstadt meist schon am zweiten Tag in die Buchhandlung. Und die Gelegenheit, in Ruhe die Bücher anzuschauen, nimmt sie gern wahr. Sie hat eine Anthologie in der Hand, in der die Lebenswege deutscher Jüdinnen beschrieben werden, die nach Palästina ausgewandert sind. „Ich kenne vier von diesen Frauen sogar persönlich“, sagt sie ganz erstaunt.
Und auch im Prospekt zum literarischen Sommer findet sie Menschen, die sie kennt. Moderatorin und Autorin Anne Gesthuysen etwa war Schülerin am Ricarda-Huch-Gymnasium. „So verbinden sich hier meine alte und meine neue Heimat miteinander, nur beim Blättern“, sagt sie. Am Ende des Abends fasst sie zusammen: „Das war eine schöne Stunde.“ Ulla Gessner hat gar nicht gemerkt, dass sie drei Stunden lang in Büchern geschwelgt hat.
Die Idee zur Spätlese kam aus dem Kundenkreis: „Hier würde ich mich gerne mal einschließen lassen“, das war der Wunsch mancher Kunden, berichtet Buchhändler Joachim Kurschat. Aus Platzgründen können maximal zehn Kunden dabei sein.