Schauspiel Mein Kühlraum – eine überaus gelungene Version
Krefeld · Joël Pommerats Stück feierte Premiere am Theater Krefeld – mit einem großartigen Ensemble in einer Inszenierung von Gerhard Willert.
„Es wird nicht einfach sein, diese Geschichte zu erzählen“, sagt Claudie (Eva Spott) am Beginn. Doch dann erzählt sie zwei Stunden lang die Geschichte von ihrer Kollegin Estelle (Carolin Schupa) und dem Supermarkt in dem sie gemeinsam gearbeitet haben. Sie tut das auf eine schlichte und zugleich eindringliche Weise, die vom ersten Moment an den Zuschauer packt. So beginnt das Stück „Mein Kühlraum“ von Joël Pommerat, das jetzt im Theater Krefeld seine erfolgreiche Premiere feierte.
Das Werk wurde 2011
in Paris uraufgeführt
Der französische Theatermann und Autor erzählt darin Geschichten von alltäglichen Banalitäten, aber auch von menschlichen Abgründen, die sich im Alltäglichen unerwartet auftun. Das alles geschieht auf eine erstaunlich leichte Weise, mit teilweise humorvollen und sogar märchenhaften Zügen. Krefeld ist nach dem Landestheater Linz erst die zweite deutschsprachige Bühne, die das 2011 in Paris uraufgeführte Werk zeigt.
Mit Regisseur Gerhard Willert, der das Stück auch in Linz inszeniert hat, ist ein echter Pommerat-Kenner tätig geworden. Er ist mit dem Autor befreundet, hat mehrere Stücke von ihm übersetzt und inszeniert. So hat er ein besonderes Gespür für die Musikalität und die besonderen Strukturen seiner Werke entwickelt, was sich jetzt in „Mein Kühlraum“ deutlich zeigt. Denn das Stück setzt sich aus einer Vielzahl (ungefähr sechzig!) kleiner und manchmal nur kleinster Szenen zusammen, die aus dem Dunkel aufblitzen und wieder darin abtauchen.
Dieses Auf- und Abblenden erinnert an einen Film. Doch wir befinden uns im Theater und anstelle der Leinwand gibt es einen großen schwarzen Einheitsraum (Bühne: Julia Scholz). Dieser lässt sich mit wenigen Requisiten und Lichteinstellungen blitzschnell verwandeln. Mit der Präzision eines Uhrwerks sind diese Szenenabläufe organisiert und ziehen an dem Zuschauer in teilweise großem Tempo vorbei. Ein schmaler Steg, der mittig von der Bühne bis in die ersten Reihen der Zuschauer reicht, stellt eine zusätzliche Verbindung zum Publikum her.
Vor allem die Erzählerin Claudie hält sich hier immer wieder auf, um von den Ereignissen, die sich dann auf der Bühne abspielen, zu berichten. Die Geschichte klingt in ihren Grundzügen einfach, ist jedoch mit so vielen Zwischentönen und überraschenden Wendungen gespickt, dass sie sich wirklich kaum zusammenfassen lässt. Die Grundkonstellation ist der alltäglichen Arbeitswelt entnommen. Acht Angestellte arbeiten in einem Supermarkt und leiden unter der Dominanz ihres Chefs Blocq (Paul Steinbach). Als dieser erfährt, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hat, vermacht er seinen Angestellten vorzeitig den Supermarkt und drei weitere Firmen. Als Gegenleistung fordert er, dass ein Tag im Jahr zukünftig seinem besonderen Andenken gewidmet sein soll. Estelle, die im Laden bis zur Selbstaufopferung arbeitet, hat die Idee, das Andenken in Form eines Theaterstücks über Blocq umzusetzen. So haben die Angestellten, die plötzlich ihre eigenen Chefs geworden sind, mit verschiedenen Widrigkeiten zu kämpfen. Sie lernen die Arbeitswelt mit allen Konsequenzen aus der Perspektive des Chefs kennen, müssen harte Entscheidungen fällen und sich zueinander neu positionieren. Zugleich stehen sie unter dem Druck, ein Theaterstück schaffen zu müssen, denn Blocq will dies noch vor seinem Ableben sehen.
Der anfänglichen Euphorie folgt schnell die Ernüchterung und die Beziehungen der acht untereinander verändern sich. Egoismus und Solidarität, aber auch Ängste und Sehnsüchte beeinflussen das Handeln dieser Menschen. Estelle, die einmal als „Heilige und Monster“ gleichermaßen bezeichnet wird, nimmt in dem Gefüge eine gesonderte Stellung ein. Ihre Kollegen nutzen sie aus, kommen aber wegen des Theaterstücks nicht ohne sie aus. In der Welt des Theaters, das für sie wichtiger als das Leben ist, entwickelt die sanfte Estelle auf einmal eine besondere Dominanz. Noch gesteigert wird dieser Aspekt durch die Figur ihres kriminellen Bruders, der ihr negatives Alter Ego verkörpert. Auf großartige Weise verkörpert Carolin Schupa beide Figuren.
Der böse Bruder, den zunächst alle fürchten und ablehnen, wird dann in verschiedenen Situationen dazu benutzt, einige Dinge für die Anderen zum Guten zu wenden. Pommerat macht hier eine Anleihe bei Bert Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“. Doch der Autor wertet das alles nicht, er erklärt auch nicht, sondern beschreibt die Dinge und gibt ihnen Raum. So ist der Verlauf des Stücks auch nicht vorhersehbar, es gibt immer wieder überraschende Wendungen und gegen Ende, als noch ein Mord im Kühlraum passiert, bekommt das Ganze Züge eines Krimis.
Mit einem feinen Gespür für diese Komplexität und in einer perfekten Balance zwischen leicht und schwer setzt die Regie das alles um. Einen wesentlichen Beitrag zu der besonderen Atmosphäre leistet Julia Klomfaß mit Live-Musik und Sound. Dass das alles so wunderbar ineinandergreift, liegt an dem großartigen Ensemble. So differenzierte Charakterstudien, die mit einer fast lässigen Selbstverständlichkeit herüberkommen, hat man im hiesigen Schauspielensemble schon länger nicht gesehen: neben der herausragenden Carolin Schupa als Estelle sind dies Paul Steinbach, Eva Spott, Philipp Sommer, Nele Jung, Henning Kallweit, Michael Ophelders, Vera Maria Schmidt und Raafat Daboul. Letzterer spricht als Lagerverwalter Chi einen skurrilen Akzent, den Estelle den Anderen mit der Bemerkung „Er spricht unsere Sprache“ immer übersetzt. Pommerat schreibt die Stücke immer für seine eigene Theatertruppe. Leider lehnt er es ab, sich seine Stücke außerhalb Frankreichs anzusehen. In Krefeld verpasst er eine überaus gelungene Version.
Weitere Aufführungen: am 1., 8., 19., 24. März; 3., 8., 25. April; 1. Mai. Karten gibt es an der Theaterkasse (Tel. 02151 805125) und online.