Nackt auf schwarzen Inseln
Die vielen Gesichter des zeitgenössischen Tanzes waren in der Fabrik Heeder zu Gast. Leider sah fast nur Fachpublikum zu.
Krefeld. Die lebenden Skulpturen, die sich da - jede für sich - auf einer kleinen Drehbühne in Pose werfen, könnten einem Roman von Charles Dickens entlaufen sein: die feine Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, erstarrt zu Spieluhr-Figuren. So bieder wie die Damen und Herren scheinen, sind sie aber nicht: Keine Stunde später kreisen sie splitternackt auf ihren schwarzen Inseln.
"Designer Body" von der britischen Company Ballet-Lorant zählt zu den außergewöhnlichen Produktionen, die im Rahmen der Düsseldorfer Tanzmesse NRW in der Fabrik Heeder zu sehen waren. Anfangs mehr Installation als Tanzstück, fesselte "Designer Body" durch die Originalität seiner opulenten Ausstattung.
Die Künstler, eingeengt durch die schweren Kostüme, begnügen sich zunächst noch mit Balancen und Posen. Dynamik entsteht durch die Rotation der schwarzen Drehbühnen und Wind von Ventilatoren, der die Stoffe effektvoll bläht. Je mehr Kleidungsstücke die fünf Frauen und die beiden Männer ablegen, desto intensiver und lasziver bewegen sie sich. Obwohl nackt und den voyeuristischen Blicken des Publikums preisgegeben, wirken die Tänzer keinen Moment ausgeliefert. Ihre Blöße setzt vielmehr Gedanken frei über Schönheit und Altern, macht diese Kunstobjekte aus Fleisch und Blut menschlich.
Die reizvolle Choreografie von Liv Lorant, Eleganz der Bewegungen und rauschhafte elektronische Musik verleihen ihnen eine Ästhetik der Unnahbarkeit. Kommt einem zwischendurch der Gedanke an einen Nachtclub, ist der spätestens verflogen, wenn die Künstler schließlich, in Embryonalhaltung liegend, einsam ihre Runden drehen.
Im krassen Kontrast dazu "Moss & Mould" und "Ice" des belgischen Ensembles Thor, Teile 3 und 4 aus dem Vierteiler "V.-Nightmares" über die Jahreszeiten zu Vivaldi. "Moss & Mould", das Herbststück, gefällt sich dabei als Schocker, der dem Zuschauer das "memento mori" entgegenbrüllt. Vanitas-Gemälde, ausgestopfte Tierköpfe, Geweihe, Felle machen die Bühne zum barocken "nature morte"-Schaufenster. Todeslyrik der französischen Schriftstellerin Caroline Lamarche verdunkelt die Atmosphäre.
Mit der Brachialität, nicht aber der Originalität ihres Landsmanns Wim Vandekeybus, berühmter Tanzberserker, kreierte Choreograf Thierry Smits diverse Aufreger. So legt ein Tänzer einem aufgebahrten Nackten einen Haufen lebender Würmer auf die Brust, deren glitschiges Treiben auf bloßer Haut per Live-Kamera auf einer Leinwand in Vergrößerung zu erleben war.
Ganz puristisch, allerdings reichlich verkopft dagegen Nicolas Cantillons Solo "Climax". Der schlaksige Körper dekliniert das Vokabular des modernen Tanzes durch bis zur totalen Ermattung. Organisch und fließend ist sein Duktus, der jäh unterbrochen wird durch glitzernde Riesenbuchstaben, die das Wort Climax bilden. Unbeeindruckt tanzt der Schweizer weiter, um den "lächerlichen" Widerspruch zwischen der Erfüllung eines Höhepunktes und der ewigen Unvollkommenheit, der forschenden Suche des Tanzes zu verdeutlichen.
Zahllose Gesichter hat der zeitgenössische Tanz, soviel machte die Tanzmesse schon mit ihren zwölf Showcases in der Fabrik Heeder deutlich. Schade, dass überwiegend Fachbesucher kamen, sie zu entdecken.