Kultur Podio: Schlussakkord mit Nessi Tausendschön

Zum Abschluss der Ära Podio begeistert die Kabarett-Chansonnette das Publikum im ausverkauften Glasfoyer.

Foto: Mark Mocnik

Krefeld. Nessi Tausendschön war der gelungene Schlussakkord der Ära Podio, die mit einem Paukenschlag zu Ende ging. Man glaubt, ein Derwisch fegt über die Bühne. Die Kabarett-Chansonnette gehört zweifelsfrei zu den besten Kabarettistinnen des Landes. Mit ihrem kongenialen Musikpartner William Mackenzie zauberte die 52-Jährige ein umwerfendes Programm auf die Bretter des ausverkauften Glasfoyers im Stadttheater — das Beste aus 20 Bühnenjahren.

Der kanadische Musiker begleitete Nessi Tausendschön virtuos auf seinen diversen Instrumenten, vor allem mit hinreißendem Gitarrenspiel. Auch die Texte kommen aus beider Feder. Die Entertainerin zelebrierte dazu ihre Geschichten und Songs, zwitscherte mal leise in melancholischen Balladen, um dann kurz darauf stimmlich und sprachlich geradezu zu explodieren, etwa, wenn sie im grellen Sopran synchron zu ihrer singenden Säge die Gläser vibrieren lässt.

Das Improvisationstalent passt in kein Kabarettklischee, es ist einmalig, weil unglaublich facettenreich. Für sie müsste ein neues Genre erfunden werden.

Nessi Tausendschön, in Hannover als Annette Maria Marx geboren und in Köln lebend, wählte ihren Künstlernamen in Anlehnung an die volkstümliche Bezeichnung für Gänseblümchen. Mutmaßlich in Reminiszenz an ihren ersten Beruf als Gärtnerin. Später studierte sie Germanistik und Philologie, spielte in Rock- und Jazzbands und zusammen mit Mackenzie in Kanada, den USA und Indien. Entsprechend groß ist ihre musikalische Bandbreite. Ihre Jazz-Einlagen sind eine Wucht. Dies zeigt sie bei ihrem Ausflug in ihr letztes Programm mit dem Titel „Die wunderbare Welt der Amnesie“.

„Ich wollte Ärztin werden, aber meine Eltern haben mich gezwungen, Komikerin zu werden“, erläutert sie ihre späte Karriere. Um gleich hinzuzufügen: „Ich halte Humor für überschätzt, bin nur eine Witze-Prostituierte.“ Als solche ist sie so geistreich und hintersinnig, dass sich das Publikum selbst ihre Provokationen gefallen lässt. Immerfort sucht sie den direkten Kontakt und geht auf Konfrontationskurs.

„Wenn Sie hier versuchen, mein Programm nieder zu husten, es wird Ihnen nicht gelingen“, pfeift sie eine Besucherin an. Man weiß nie, was die quirlige Powerfrau gerade im Sinn hat. Sicher ist man vor allem in den ersten Reihen vor ihr nicht: „Du kannst ruhig scheiße aussehen,“ so zum Beispiel beim Suchen nach einem Gatten.

„Ich will Freude verbreiten“, sagt sie. „Ja, das gibt es, Freude in Krefeld.“ Und fordert dazu auf, auf sich stolz zu sein. „50 Millionen Spermien — und Sie sind’s geworden — ein Siegersamen!“ Gleich, ob sie in die Rolle der Liebeslyrikerin schlüpft und das Publikum ihre Reime vervollständigen lässt oder ob sie als irrwitzige Sportreporterin „Töpperlin-Hartmann“ eine Live-Reportage von der WM im Kunstvögeln inszeniert und TV-Kommentatoren auf den Arm nimmt — sie überrascht stets aufs Neue.

Anrührend spielt sie den eigenen Schutzengel mit blonder Lockenpracht und kleinem Alkoholproblem und zieht sich auf frech-frivole Art den „Seelenschmeichler“ aus dem Dekolleté. Freudentränen vergießt das Publikum bei ihrem abschließenden Lied zu Balalaika-Klängen auf Pseudorussisch. Eine rundum gelungene Abschiedsvorstellung des Podio.