Premiere "Zucco": Ein Kampf auf offener Bühne

Die sehenswerte Premiere der Killerballade „Zucco“ begeistert mit einem grandiosen Bühnenbild.

Krefeld. Es ist ja nicht so, dass Gewalt in jeder Form geächtet wäre. Spürbar wird sie jedenfalls überall, beiläufig und alltäglich, als verlockende Möglichkeit oder effiziente Methode der Problemlösung.

Die Mutter droht sie an, der müde Vater trauert ihr nach, die Schwester wünscht sie anderen an den Hals, der Bruder hält sie nur mühsam zurück, die Polizisten schätzen sie als Druckmittel, für die Zuhälter und Türsteher gehört sie ohnehin zum Geschäft. Nur der Serienmörder, der scheinbar ohne Motiv tötet, soll für seine Gewalt büßen. Warum eigentlich?

Wie aktuell die Killerballade „Roberto Zucco“ nach 20 Jahren geblieben ist, wurde bei der Premiere am Samstag im Stadttheater deutlich. Die Fragen, mit denen Autor Bernard-Marie Koltès (1948-1989) die Zuschauer konfrontiert, sind zeitlos: Was macht den Mörder zum Mörder? Auf welchem Boden gedeiht er? Wie dünn ist die Kruste der Zivilisation? Und wie leicht gerät unser Leben aus der Spur?

In seiner kraftvollen Sprache schafft Koltès einprägsame Motive, die Zuccos Weg in den Wahnsinn beschreiben. Regisseur Christoph Roos greift sie auf, indem er die Kontraste von Licht und Dunkel, Sichtbarkeit und Verzerrung betont. Die Basis dafür schafft das grandiose Bühnenbild von Peter Scior:

Auf einer Drehbühne ordnet er Wände aus Glasbausteinen so verschachtelt an, dass sich mit jeder Szene Einblicke öffnen oder verstellen. Der Raum wird mal tief und weit, mal eng und labyrinthisch, hinzu kommt eine ahnbare Welt von Umrissen hinter dem dicken Glas, wie Facetten des Lebens, die sich nie ganz greifen lassen.

Es ist der perfekte Ort, um dem unbegreiflichen Zucco auf die Spur zu kommen. Genau das versucht Roos: Immer wieder versteckt er seinen Protagonisten, drängt ihn an die Ränder und in den Schatten, lockt ihn dann zurück ins Licht.

Da führt einer Regie, der keine einfachen Lösungen parat hat, sondern seinen eigenen Kampf mit dieser Figur auf offener Bühne austrägt. Unterstrichen wird das durch die hypnotische Musik von Markus Maria Jansen, die Melodien und Harmonien nur andeutet, um sie gleich wieder davon gleiten zu lassen.

Eine Inszenierung wie diese, die Fragezeichen und Leerstellen bewusst zulässt, birgt jedoch Gefahren: Fast zwangsläufig geht mancher Ton daneben, liegen Hass und Zuneigung, bitterer Ernst und beißender Sarkasmus irritierend nah beieinander oder vermengen sich unentwirrbar. Fatale Folgen hat das nur in der Schlüsselszene, in der Zucco ein Kind erschießt: Sie verpufft völlig, weil der Dialog der Schaulustigen zuvor ins unfreiwillige Komische abdriftet.

Die Widersprüche, die das Stück in sich trägt, vereint Hauptdarsteller Cornelius Gebert in seinem Zucco: Er stellt ihn schief und verschlagen in die Welt, die eigenen Arme baumeln wie Fremdkörper an den Seiten. Ein junger Mann mit der Körperspannung eines Wassertropfens, doch wehe er wird zu Eis oder heißem Dampf.

Die widerstreitenden Gefühle und Sehnsüchte dieses Phantoms versucht Gebert nicht aufzulösen, er hält sie aus. Helen Wendt bleibt daneben als naives Mädchen, das Zucco verfällt, recht eindimensional, nur ein Spielball der bösen Welt.

Die restlichen 20 Rollen nutzt das Ensemble für kleine, feine Charakterstudien, was vor allem Esther Keil als Schwester des Mädchens, Adrian Linke als Vater und Christopher Wintgens als schwermütigem Inspektor gelingt.

Den stärksten Auftritt hat Joachim Henschke. Er strandet nachts mit dem Mörder in einer U-Bahn-Station, die letzte Metro ist längst weg. Der alte Mann erzählt, wie allein und verloren er sich fühlt, in einer finsteren Welt von Tunneln und unter einem fremden Licht. Dem Rätsel Zucco kann man kaum näher kommen als in diesem Moment.