Buchrezension Romanfigur Tobias lügt sich seine eigene Welt zusammen
In seinem zweiten Niederrhein-Roman beschäftigt sich Wilhelm Rennebaum mit dem Verfall von Werten.
Krefeld. In seinem zweiten Niederrhein-Roman „Achterbahn“ widmet sich der Krefelder Wilhelm Rennebaum dem Verfall von Werten wie Ehrlichkeit und Moral. Dabei erzählt der Autor die Geschichte von Tobias, einem jungen Mann, der Mitte der 1970er Jahre im Alter von 19 die schockierende Wahrheit über seine Eltern herausfindet. Er entflieht dem Leben aus dem fiktiven niederrheinischen Ort Leursheim und zieht durch die Lande, um die Wahrheit zu vergessen.
Dabei verliert er sich über die Jahre hinweg immer mehr in Lügengeschichten. Denn Lügen fallen Tobias leicht, so dass sie für ihn irgendwann zu seiner Wirklichkeit werden. Als er 1998 allerdings dem größten Heuchler und Schwindler begegnet, nämlich seinem leiblichen Vater, gerät sein Leben wieder ins Wanken und nimmt für alle Beteiligten eine dramatische Wendung.
Mit Tobias Thürling hat Rennebaum einen glaubwürdigen Unsympathen erschaffen, der mit seinen Entscheidungen im Leben eine Achterbahnfahrt durchlebt — mal rauf, mal runter. Dabei sind Wahrheit, Ehrlichkeit oder Teamgeist für Tobias nur Augenwischerei. Seine Eltern haben ihn betrogen, warum sollte er es mit anderen Menschen dann nicht auch so handhaben?
Er kann seinem Glück nachhelfen und es korrigieren, wie Rennebaum schreibt. Tobias erfindet sich neu und strebt nach dem Leben, das ihm zusteht. Das umfasst Geld und Luxus. Dabei geht er skrupellos vor und wickelt mit seinen Fantasiegeschichten sogar seine Tante um den Finger, damit er an ihr Erbe kommen kann.
Die Nüchternheit, mit der Rennebaum die Geschichte erzählt, ist erschreckend. Tobias lügt mit einer Selbstverständlichkeit, die bedenklich ist. Der Leser stellt sich dabei die Frage, warum es nur soweit kommen konnte und was aus dem lieben kleinen Jungen, der in Leursheim wohlbehütet aufwuchs, geworden ist.
In Rückblicken wird zwar die Familiengeschichte der Thürlings sowie die Begegnung von Tobias Mutter mit Justus von Schnell, seinem leiblichen Vater, erklärt, aber rechtfertigt all das Tobias‘ Vorgehen? Wenn es nach ihm geht, ja. Sein moralisch fraglicher Weg ist für ihn eine Notwendigkeit, um seine Ziele zu erreichen. Dass er dabei zum Hochstapler, Heirats- sowie Identitätsschwindler ist ihm gleich. Ein Gewissen scheint er nicht zu haben.
Der Plot ist spannend, der Schreibstil unaufgeregt und schnörkellos, so dass sich der Roman flüssig liest. Die Geschichte lebt von den interessanten Figuren, die Rennebaum sich ausgedacht hat, aber auch von den Orten. Nichts wirkt aufgesetzt. Es gibt keine Minute, in der das Buch langweilig wird. Ein Diamant, der einem viel Spaß beim Lesen bereitet. So sehr, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann.