Teatro Experimental Fontibón: Die Opfer des Krieges verschwinden

Eindrucksvoll zeigt das kolumbianische Teatro Experimental Fontibón, wie die Menschen die Gewalt in ihrer Heimat erleben.

Fischeln. Annähernd 50 Jahre Bürgerkrieg. Die Beteiligten sind: der Staat, Guerillakämpfer, paramilitärische Gruppen, die Drogenmafia. In Kolumbien herrscht eine so unübersichtliche wie aussichtslose Gemengelage, eine Lösung ist nicht in Sicht.

Eine Lösung hat auch das Teatro Experimental Fontibón aus der kolumbianischen Hauptstadt Bogota nicht zu bieten. Die Gruppe führte ihr Stück „El canto des las moscas“ („Der Gesang der Fliegen“) jetzt auf dem Fischelner Marienplatz auf.

Die Produktion wurde inspiriert von einem Lyrikband der Kolumbianerin Maria Mercedes Carranza, die Gedichte richten sich aus der Opferperspektive gegen die Gewalt in Kolumbien. 200 000 Menschenleben soll der Konflikt bisher gekostet haben, jährlich sollen 3000 Personen entführt, teils getötet werden.

Das Teatro Experimental Fontibón übernimmt diese Perspektive mit den Mitteln einfachen Straßentheaters. Ein Bodentuch ist das einzige Requisit, drei Männer und drei Frauen agieren, zwei Musiker (Klarinette und Percussion) begleiten.

Mit dem etwa sieben mal sieben Meter großen Tuch gelingen beeindruckende Bilder. Wiederholt verschwinden Akteure darunter, so wie die Opfer des Bürgerkriegs aus der Sicht ihrer Angehörigen oft von einem Tag zum anderen verschwinden.

Das Stück will sich gegen den kollektiven Gedächtnisverlust richten. Die Verschwundenen richten sich unter dem Tuch auf. Es entstehen teils überlebensgroße Skulpturen, wenn sich etwa eine Akteurin auf die Schultern eines Kollegen stellt.

Die Klage über den Verlust eines Menschen, ein Ausleben der Trauer, das wird den Angehörigen der Opfer, die irgendwo verscharrt werden, oft verwehrt.

Es ist kennzeichnend für die Lage in Kolumbien, dass die Möglichkeit der Trauer und die Möglichkeit, sich würdevoll von einem Menschen zu verabschieden, im Stück als Utopie dargestellt wird.

Die Umrisse eines Toten, dessen Namen zuvor mehrfach verzweifelt gerufen wurde, werden mit Blättern markiert, diese durch Aufheben des Tuchs in alle Winde zerstreut. Das wirkt wie ein Ritual der Verabschiedung.

Herzlicher Applaus von knapp 50 Zuschauern auf dem Marienplatz. Obwohl die Akteure Spanisch sprachen, konnten sie mit ihren Mitteln — trotz kleiner Mängel der Aufführung — ihre Botschaft vermitteln.

In der abschließenden Fragerunde monierte lediglich ein Zuschauer, dass ihm das Stück zu sehr die Perspektive der Opfer einnehme. Er vermisse den Widerstand. Die Theatermacher antworteten entwaffnend: „Aber wir wollen Frieden.“