Theater: Auf der Suche nach eigenen Erfahrungen

Der Jugendclub des Theaters setzt die Eigenproduktion „Ich und der Rest“ eindrucksvoll um.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Auf der Suche nach Identität, abseits gesellschaftlich vorgezeichneter Rollenmodelle, untersuchen die Schauspieler des Jugendclubs in „Ich und der Rest“ das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Umwelt. Unterschiedliche Charaktere prallen im Raum aufeinander, grenzen sich ab und erzählen von individuellen und gemeinsamen Ängsten, Sorgen und Wünschen. Sie entwickeln Identität und lösen sie in der Gemeinschaft auf.

„Mach’ doch die Bude groß genug, dann kannst du darin hin und her laufen. Nicht nur in einer vorgezeichneten Bewegung“, sind die Worte von Ludwig Mies van der Rohe, die immer wieder zwischen den collageartigen Szenen eingespielt werden.

Durch eine klar strukturierte schnörkellose Formgebung ist den Gebäuden van der Rohes keine bestimmte Funktion aufgezwungen. Sie sind offen für verschiedene Nutzungsmöglichkeiten. So wie die Bühnengestaltung von Matthias Stutte, die Teile vom letztjährigen Golfclub-Projekt „Mies 1 : 1“ enthält, und so die Verbindung zur Jugendclub-Performance „Wir und der Golfclub“ herstellt.

In diesem Raum können sich die Charaktere des Jugendclubs entwickeln. Sich wie Magnete anziehen und abstoßen. Anklagen, selbst finden, abgrenzen und zusammenwachsen. Die mit Anne Küper entwickelten Texte dominieren das Stück. Anrührend zärtlich, verspielt erkenntnisreich und greifbar wütend.

Ein Blick durchs Kaleidoskop individueller Erfahrungen, die in der Gemeinschaft Schnittpunkte bilden. „Wir tragen alle Socken und Unterhosen. Nur meine sind gepunktet und deine sind gestreift.“

So kommen der extrovertierte oberflächige Selbstdarsteller, der sich mit seinem Smartphone und aktuellem Status im Netz in einer Endlosschleife verewigen will, und die sich nach bedingungsloser Liebe sehnende Frau, die ihren Kummer mit stetigem Chipsverzehr kompensiert, zusammen. Die alltäglichen Geschichten der einzelnen Protagonisten werden mosaikartig erzählt und immer wieder von live vorgetragenen musikalischen Einlagen getragen.

Sie pendeln mal zwischen subtilem Witz und anrührender Traurigkeit. Mal entwickeln sie sich zur furiosen gemeinsamen Anprangerung. Die Darsteller schreien wunderbar wütend, wenn kindliche Fragen mit gesellschaftlichen Leistungsvorstellungen kollidieren. „Ich muss doch nur funktionieren. Die Welt hat mich nicht zu interessieren. Ihr wollt Kinder, die brav sind und bloß nicht stören, auch wenn sie sich dann selbst verlieren.“

Oder, wenn bei dem blinden Haschen nach immer mehr Individualisierung ein Rest bleibt, dem es „richtig dreckig, richtig scheiße, verdammt nochmal hundeelend und sonst noch was geht.“

Das von Dirk Wiefel inszenierte Stück funktioniert auf so vielen Ebenen, dass dem Zuschauer schon mal leicht schwindelig werden kann. Doch „die Bude“ ist groß genug für einen letzten gemeinsamen Tanz. Im dreiminütigen, anrührend vorgetragenen Pop-Hit lösen sich die Spannungen vorübergehend auf. Die Premiere von „Ich und der Rest“ endet im Wir und hinterlässt ein begeistertes Publikum.