Theater: Der Herr der Lichter wartet im Dunkeln
Gaëtan de Blecker ist für hunderte Scheinwerfer verantwortlich — für ihn eine Wissenschaft, für das Publikum reines Gefühl.
Krefeld. Der Mann in der Mitte der Bühne folgt einer Geschichte, die nur in seinem Kopf passiert. Wo andere bloß einen Lichtwechsel bemerken, ein kurzes Flackern oder Leuchten, sieht Gaëtan de Blecker ganze Szenen. Die Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“, zurzeit ein Hit im Theater, läuft Bild für Bild, Stimmung für Stimmung vor seinem geistigen Auge ab.
Am Ende nickt der Beleuchtungsmeister zufrieden. Seine Arbeit ist getan. 220 Scheinwerfer strahlen genau dorthin, wo sie während der Vorstellung zwei Stunden später gebraucht werden. Auf einer langen Liste ist jeder einzelne vermerkt, mit Farbe, Intensität und Funktion. De Blecker kann die Liste auswendig, er sieht auf den ersten Blick, wo etwas nicht stimmt. „Beleuchtung ist ein Spiel mit Nuancen“, sagt er. „Klotzen funktioniert nicht.“
Licht kann auf einer Bühne ganze Welten erschaffen — oder sie zerstören. „Durch Rot wird ein grünes Kleid schwarz“, erklärt Gaëtan de Blecker. „Und wenn ich flach von der Seite gegensteuere, muss ich aufpassen, dass sich der Kopf des Sängers nicht verfärbt.“ Ähnlich sensibel ist die Balance der Lichter. Der Chor hinten auf der Bühne braucht Helligkeit, aber nicht zu viel: „Die Aura gehört den Solisten.“
Schon ein halbes Jahr vor der Premiere sitzt der Beleuchtungsmeister mit dem Regisseur zusammen. Im Gespräch entstehen die Stimmungen für das Stück. In dieser Spielzeit setzt de Blecker neben „Orangen“ noch „Casanova“, „Amadeus“ und „Comedian Harmonists“ ins rechte Licht.
Vor jeder Vorstellung, wenn das Bühnenbild steht, gehen die Beleuchter an die Arbeit, richten jeden Scheinwerfer zentimetergenau aus. Je nach Stück können das bis zu 400 einzelne Lichtquellen sein. „Dann brauche ich richtig Zeit und viele Jungs, sonst bleibt abends der Vorhang zu. Ich muss mich hundertprozentig auf mein Team verlassen können.“
Das gilt besonders, wenn morgens noch ein Kinderstück auf dem Spielplan stand und die Zeit zum Umbau knapp wird: „Das ist wie zu Hause“, sagt der 46-Jährige. „Wenn man eh schon Stress hat, geht eine Lampe kaputt.“
Am Theater kann allerdings noch viel mehr passieren. Bis zu 18 Meter hoch hängen die Zugstangen über dem Bühnenboden, beladen mit teils riesigen Scheinwerfern. Dass Kabel sich verheddern, Verbindungen sich lösen oder Steuerungen ausfallen, ist schnell passiert. Dann heißt es Ruhe bewahren — sogar während der Vorstellung. „Irgendein Licht zaubern wir schon hin“, sagt de Blecker. „Und falls nicht, haben wir auf der Bühne echte Rampensäue: Die finden ihren Scheinwerfer.“
Selbst nach 17 Jahren am Krefelder Theater lernt der Beleuchtungsmeister ständig dazu, auch als Besucher. „Bei einer Vorstellung folge ich nicht der Handlung, sondern nur dem Licht“, erzählt er. „Für mich ist das eine Wissenschaft, für das Publikum reines Gefühl. Mein Job ist, die Brücke dazwischen zu schlagen.“
Dass den Applaus andere bekommen, stört de Blecker nicht. Der Herr der Lichter steht am liebsten im Dunkeln, seitlich hinter der Bühne, wo er alles im Blick hat, jede Stimmung, jede Nuance.
Ob er das Licht für eine Szene nicht um die Ecke biegen könne, hat ein Regisseur ihn mal gefragt. „Kein Problem“, hat de Blecker geantwortet. „Das geht.“