Erinnerung Theaterstück "Kriegskind": Wenn das Damals zum Heute wird
Schüler einer 9. und 11. Klasse sahen das Stück „Kriegskind“, das zurzeit vom Theater Hintenlinks aufgeführt wird, und ließen sich danach von Zeitzeugen in den Bann ziehen.
Krefeld. Es ist warm an diesem Tag. Die Schüler haben nur noch eine Woche, bis die Sommerferien beginnen. Sie unterhalten sich über die Kleider, die sie bei den Abschlussbällen der Freunde tragen werden. Über ihren bevorstehenden Urlaub und auch über die Zeugnisse. Manche Schüler der elften Klasse des Moltke-Gymnasiums lachen laut. Aufgeregtes Geplapper hier und da auch bei den Teenagern der Anne-Frank-Gesamtschule Viersen.
Und dann erklingen auf einmal Sirenen. Sirenen, die die drohenden Bomben ankündigen. Still ist es, als Gisela Wohlfahrt, gespielt von Anuschka Gutowski, auf der Bühne eine alte Frau spielt, deren Vergangenheit ihre Gegenwart bestimmt.
Mucksmäuschenstill ist es, als sie von ihrem Vater berichtet, der „immer eine Uniform trug“ und der irgendwann nicht mehr wiederkam. Bekannt muss den Schülern die „Lust auf Abenteuer“ vorkommen, die Gisela als kleines Mädchen überkam, als sie von Breslau fliehen mussten. Nur, dass diese Abenteuerlust, die heute viele oftmals in weite Länder reisen lässt, in Giselas Fall die Flucht vor den Russen war.
Das Leben des jungen Kindes von damals und den Schülern von heute könnte nicht gegensätzlicher sein. Alle sitzen sie da und lauschen den Worten der Schauspielerin, während sie berichtet, dass auf nichts Verlass war, „außer auf das Unglück.“
Und genau das brach am 13. Februar 1945 über das kleine Mädchen, das mit ihrer Schwester und Mutter zum Onkel nach Dresden geflohen ist, herein. „Es rumort, die Wände beben und Schreie ertönen“, erinnert sich Gisela an jene Nacht.
Die entspannte Stimmung, die vor einer Dreiviertelstunde bei den Schülern im Publikum noch herrschte, ist einer bedrückten gewichen. Beinahe spürt man die Kälte, die im Raum herrscht, als Gutowski mit glänzenden Augen berichtet: „Als die zweite Bombenwelle kommt, ist keine Rettung mehr. Mutti versteckt uns unter ihrem Körper. Ich liege mit dem Ohr an Muttis Herz. Bumm, bumm, bumm. Dann ist Ruhe.“
„Puh“ kann sich eine Schülerin nicht verkneifen, während sich eine andere die Hand vor den Mund hält und bestürzt zur Bühne blickt. Auf einmal ist die Vergangenheit der Protagonistin Teil der Gegenwart der Schüler geworden. Sie sind mitten drin im Geschehen.
Und spätestens, als nach der Vorführung Eugen Gerritz, SPD-Kulturpolitiker und Zeitzeuge, und Michael Gilad, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Krefeld, von ihren persönlichen Erlebnissen berichten, sind für einen kurzen Moment auch die nahenden Sommerferien bei einigen vergessen.
Gerritz, der das Kriegsende mit zehn Jahren miterlebte, erzählt, dass er die Situation nie richtig hätte einordnen können. „Wir haben das dritte Schuljahr plötzlich häufig im Schulbunker verbracht. Dort wurde dann oft nur noch gebetet. Das vierte Schuljahr fand gar nicht mehr statt.“ Alle Lehrer, bis auf eine Ausnahme, waren im Kriegsgeschehen tätig.
Blicke wandern zu den anwesenden Lehrern der beiden Klassen. Die Schüler scheinen das Unglück, das der Krieg mit sich brachte, zu begreifen. Gerritz berichtet, dass er nachts nicht schlafen konnte wegen der Bombeneinschläge. „Aber, ich wusste, was passierte. Ich wusste, das Krieg war.“ Und genau das wissen die Schüler der beiden Schulen jetzt auch ganz genau. Dass Krieg war.