Tanz Verstörende und traumschöne Bilder in Hohenbudberg

Unter freiem Himmel am Rheinufer begann die eindrückliche Uraufführung der Performance „Stille“ von Ilona Paszthys.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Ein bizarrer Ort ist Hohenbudberg ohnehin. Bevor der Bayer-Konzern hier Grundstück um Grundstück aufkaufte, um sein Chemiegelände zu errichten, und die Bagger Haus um Haus wegfraßen, lebten dort 2000 Einwohner. Heute sind es noch zwölf. Zu einem geradezu magischen Ort aber wird das geschichtsträchtige Dörflein am Rheinufer als Kulisse für die atemberaubende Tanz-Performance „Stille“ von Ilona Paszthy.

Die Kölner Choreografin entwickelte im Auftrag des Kulturbüros für das Open-Air-Format „Move in Town“ einen Parcours. Zwischen St. Matthias, der ältesten Kirche der Stadt, und dem Rheinufer agieren fünf Performer lautlos und in Zeitlupe. Die Schafe mussten vorübergehend umziehen.

Mild bescheint die Abendsonne die fünf Menschen am Ufer, die mit dem Rücken zum Wasser stehen, als wären sie ihm gerade entstiegen. Der leichte Wind treibt kleine Wellen gegen ihre Fersen.

Eindrucksvoller kann die Atmosphäre einer Performance nicht sein — dabei ist Paszthys Anliegen alles andere als ein Schönwetter-Thema: der schleichende und dennoch gewaltsame Verdrängungsprozess der Idylle durch die industrielle Nutzung. Lange haben Paszthy und ihr Team gebangt, ob das Wetter hält. Doch kurz vor Vorstellungsbeginn verziehen sich die dunklen Wolken und ein strahlender Himmel verhöhnt die Wetterprognosen von Schauern und Gewittern.

Die drei Frauen und zwei Männer wirken bedrohlich, wie sie ihre schwarze Kleidung samt Gummi- und Handschuhen überstreifen. Sie gleiten in Zeitlupe durch die Wiese hinauf zum Deich — kunstvoll auf allen Vieren, vor- und rückwärts, rollend und auf Knien. Ein Sondereinsatzkommando? Totengräber? Rächer der Dorfbewohner? In jedem Fall eine Invasion. Die knapp 150 Besucher folgen ihnen zu allen Stationen, nicht nur fasziniert von dem Licht, das die Sonne als Natur-Scheinwerfer inszeniert.

Denn Ilona Paszthy gelingen zahlreiche Bilder, verstörende wie traumschöne. Da ist die große Blase, in der eine Frau in weißem Rüschenkleid über die Deichkrone spaziert — dem live spielenden Saxophonisten Zsolt Varga entgegen. Wie poetisch. Doch plötzlich rollt die Blase den Abhang hinunter und außer Sichtweite — da ist wohl ein Traum zerplatzt.

Gewalt wird sichtbar, wenn Läufe abrupt stoppen, wenn Männer einer Frau das Gesicht mit ihren Händen verdecken und den Kopf nach vorne drücken. Ein Motiv, das häufiger auftaucht.

Über die Wiesen geht es weiter Richtung Friedhof. Die unheimlichen Gestalten erklimmen die Mauer. Eine Tänzerin steht still vor Gräbern und singt ein trauriges Lied. Den Industrialisierungsprozess auf Kosten der Menschen verdeutlicht die Choreografin drastisch auf dem Vorplatz der Kirche: Vier Tänzer liegen in einer Linie, die Hände der unteren fassen jeweils die Füße des Darüberliegenden.

Die fünfte, stehende, Tänzerin wird zum Motor einer menschlichen Schraube, indem sie mit ihrem Fuß den Nacken/Kopf des obersten Tänzers hart anstößt und so eine seitliche Drehbewegung aller ausgelöst.

Es gehört zu den Stärken der Produktion, dass sie nicht jammerig wird. Im Gegenteil, beim Abschluss in der Kirche gehört die „Bühne“ dem Saxophonisten und seiner bezwingenden Musik.