Wo wohnten die fränkischen Vettern?
Professor Renate Pirling arbeitet eine Lücke der spätantiken Stadtgeschichte in Stratum auf.
Die frühe Geschichte Krefelds ist immer noch voller Rätsel und weißer Flecken. Dazu gehört auch ein Areal an der Düsseldorfer Straße in Stratum, gerade mal 500 Meter vom Rand des berühmten römisch-fränkischen Gräberfeldes von Gellep entfernt. Dieses Gräberfeld ist bekanntlich als die große Lebensaufgabe der einstigen Linner Museumschefin Professor Renate Pirling in mehreren dicken Bänden komplett dokumentiert. Von jenem Areal an der Düsseldorfer Straße aber fehlt bisher jede Aufarbeitung. Renate Pirling hat dies schon immer geärgert. "Ich fühle mich gezwungen, das jetzt zu erledigen", meinte sie, einmal wieder in Krefeld weilend, auf Anfrage der WZ.<p>Dabei hatte schon Albert Steeger im Jahre 1934 hier gegraben und insgesamt 153 spätantike Grabstellen freigelegt. Kurze Zeit später allerdings wurde er zu einem anderen Fundort, dem Gelleper Gräberfeld, abberufen. Er hinterließ zu den Stratumer Grabungen ein dünnes Bändchen, erschienen in den Schriften des damaligen Kulturamts.
Mehr als 40 Jahre gingen ins Land, bis Jochen Giesler, heute im Rheinischen Landesmuseum, noch mal an der Stelle forschte, weitere 49 Gräber freilegte, aber nicht zur Aufarbeitung der Grabung kam. Nun forscht Renate Pirling in den Grabungsberichten und will eine dokumentarische Synopse der Befunde anlegen.
Das kleine Stratumer Gräberfeld ist etwa ganz Besonderes. Ende des fünften Jahrhunderts, in der Merowingerzeit, muss sich hier eine fränkische Abteilung aus dem Rechtsrheinischen angesiedelt haben, erkennbar an den Begräbnissitten. Sie verbrannten ihre Toten - ganz ungewöhnlich für diese Zeit. Fast die Hälfte der Befunde sind Brandgräber. Die Gräber waren auch in Süd-Nord-Richtung ausgerichtet. Ungewöhnlich zudem der Fund mehrerer Pferdegräber.
500 Meter weiter entfernt allerdings siedelten zur gleichen Zeit die wohl aus dem Machtbereich des französischen Chlodwig stammenden Franken auf dem Gelände des römischen Kastells. Sie hatten die Brandbestattung längst aufgegeben, legten keine Pferdegräber mehr an. Sie waren schon länger "zivilisiert", lebten im (nach-)römischen Milieu. Das berühmte Grab des Fürsten Arpvar mit dem Goldhelm belegt dies. Renate Pirling fragt sich, warum diese Franken die Immi-granten wohl geduldet haben.
Allerdings: Jene Zuwanderer waren keine dahergelaufenen armen Vettern, wie deren Grabbeigaben belegen. So lag in einem (leider schon antik beraubten) Männergrab ein seltenes bronzenes Perlrandbecken. In einem (gleichfalls beraubten) Frauengrab fand man noch einen gläsernern Sturzbecher und eine Glasperlenkette mit Goldanhängern. In einem weiteren Frauengrab entdeckte man eine prächtige, mit Almadin verzierte, silberne Scheibenfibel und vieles Ungewöhnliche mehr. Vieles ging bei der Auslagerung während des Kriegs leider verloren.
Aber wo haben diese Zuwanderer, die das Gräberfeld bis ins siebte Jahrhundert hinein belegten, gewohnt? Die Zivilsiedlung wurde bisher nicht gefunden. "Vielleicht", so Renate Pirling, "hatten sie ihr Dorf in der Gegend der alten Puppenburg, etwa 300 Meter entfernt." Eines Tages wird auch dieses Rätsel gelöst sein.