Interview Weltmeisterin Aline Focken: "Das ist Stress pur"
Krefeld/Frankfurt. Ringerin Aline Focken steht zur Wahl für das "Sport-Stipendiat des Jahres". Deutsche Bank und Sporthilfe vergeben die Auszeichnung für Spitzenleistungen in Sport und Studium.
Im Interview spricht die 24-Jährige Krefelderin über ihre Olympia-Ziele und den teils harten Alltag einer Spitzensportlerin, die nebenbei arbeitet und studiert.
Im vergangenen Jahr wurdest Du überraschend Weltmeisterin. Wirkt dieser Erfolg heute noch nach?
Aline Focken: "Nach der WM sind für mich viele schöne Dinge passiert. Ich habe einige Sponsoren bekommen, regional war das Medieninteresse sehr groß, in Ringerkreisen sowieso, ich wurde zu vielen Veranstaltungen und Ehrungen eingeladen. Einerseits ist das eine große Ehre für mich, andererseits schaffe ich es kaum, allem nachzukommen. Meine Woche ist von Montag bis Freitag streng durchgetaktet, weitere Termine sind schwierig, da geht mein Rhythmus verloren. Und ich bin jemand, der diesen Rhythmus braucht. Aber das darf man jetzt auch nicht falsch verstehen. Ich bin dankbar für alles, zumal als Athletin aus einer Randsportart. Aber Zusätzliches in meinen Alltag zu integrieren ist schwierig.
Wie sieht denn der Alltag aus?
Focken: "Bevor ich um neun Uhr mit dem Auto 60 km nach Dormagen zum Training fahre, lerne ich morgens früh für mein Studium. Nach dem Training geht es weiter 30 Kilometer nach Neuss, wo ich bis nachmittags als Therapeutin arbeite, anschließend wieder zum Training und abends steht dann eventuell nochmals Lernen an. Pro Woche trainiere ich somit zehn Einheiten, arbeite 10 bis 15 Stunden in der Praxis, dazu kommt das Studium. Zum Glück bin ich aufgrund des Fernstudiengangs hier ein wenig ortsunabhängiger. Aber auch so kommen durch das Pendeln zwischen Uni, Training und Arbeit im Schnitt 500 Kilometer pro Woche zusammen. Da bin ich besonders froh, dass mir ein Sponsor gerade ein Auto zur Verfügung gestellt hat.
Bist Du darauf angewiesen, neben Sport und Studium zu arbeiten?
Focken: In der Regel ja. Im März wurde ich jedoch ins Elite-Plus-Programm der Deutschen Sporthilfe aufgenommen, so dass ich seitdem für die Zeit bis zu den Olympischen Spielen nächstes Jahr die Arbeitszeiten ein bisschen reduzieren kann. Auch das Deutsche Bank Sport-Stipendium hilft natürlich. Ganz aufgeben will ich das Arbeiten vor Rio aber nicht, denn ich brauche das für mich - einerseits will ich weiter berufliche Erfahrungen sammeln und auch keine zu langen Auszeiten haben. Zum anderen tut es mir gut, hier auch mit Leuten zu tun zu haben, die nicht aus dem Sport kommen.
Du sprichst Rio 2016 an, zählst Du Dich als Weltmeisterin zu den Favoritinnen?
Focken: Bei uns ist die Leistungsdichte sehr groß, in meiner Gewichtsklasse bis 69 kg kämpfen etliche ehemalige Weltmeisterinnen mit. Für dieses Jahr steht als oberstes Ziel zunächst die Olympia-Quali an. Dafür muss ich bei den Weltmeisterschaften im September mindestens Platz sechs erreichen. Natürlich wäre eine WM-Medaille auch ein Traum, aber dieses Jahr hat die Quali auf jeden Fall Vorrang. Denn dann hat man ein Jahr Zeit, sich gezielt vorzubereiten. London 2012 hat gezeigt, dass die Konkurrentinnen, die früh qualifiziert waren, dann auch bei den Spielen erfolgreich waren, weil sie sich entspannter vorbereiten konnten. Klappt die Quali bei der WM nicht, gibt es bei uns Ringern im nächsten Jahr zwei kontinentale und ein weltweites Quali-Turnier, alle innerhalb von drei Wochen. Das ist Stress pur.
Wenn Du einen Wunsch frei hättest, damit Du Spitzensport und Studium auch weiterhin gut vereinbaren kannst, dann...
Focken: ... würde ich mir wünschen, dass der Tag ein bisschen länger wäre. Dann hätte ich vielleicht Zeit für eine Stunde Mittagspause und damit ein bisschen mehr Energie für alles. Und ein bisschen mehr Zeit für Familie und Freunde. Das ist auch etwas, was mir fehlt. ots