Schizophrene Puppen begeistern

Der Bühne Cipolla ist es gelungen, Stefan Zweigs vielschichtige „Schachnovelle“ für das Figurentheater zu arrangieren.

Foto: Frank Pusch

Krefeld. Das Personal lässt nicht gerade auf eine hochliterarische Vorlage schließen: eine Schiffsratte, eine Kleiderpuppe, ein Rettungsring mit menschlichen Zügen und ein Senior im Rollstuhl. Auch die Bug-Kulisse mit Fisch und bunten Wimpeln deutet eher auf eine Vergnügungsfahrt als auf einen Höllentrip in die Vergangenheit eines Nazi-Opfers hin.

Es ist schon ein kleines Wunder, wie es der Bühne Cipolla aus Bremen gelungen ist, Stefan Zweigs vielschichtige „Schachnovelle“ für das Figurentheater für Erwachsene zu arrangieren. Bei dem Gastspiel im Rahmen des Festivals Budenzauber in der vollbesetzten Fabrik Heeder staunte man über die Mischung aus humorvoller Unterhaltung und Nervenkrimi. In der derzeitigen weltpolitischen Situation gewinnt das Meisterwerk eine starke Aktualität.

Regisseur Sebastian Kautz hält sich nah an Zweigs letzte Erzählung aus dem Jahr 1942. Der jüdische Österreicher schrieb sie im Exil in Brasilien, bevor er sich, schwer depressiv in der Fremde, das Leben nahm. Zweig, der selbst vom Hitler-Regime drangsaliert wurde, gab der „Schachnovelle“ autobiografische Züge.

Auf der Puppenbühne pulsiert zunächst das unbeschwerte Leben. Kautz, auch ein exzellenter Schauspieler, schlüpft in die verschiedenen Rollen mit vollem Körper-Einsatz, während Musiker Gero John — in Seemannskluft mit Tattoo-Shirt — live an Cello und Bandoneon akustische Stimmungsbilder zaubert. Die Puppen (Melanie Kuhl) erwachen zum Leben: die pfiffige Ratte als Erzähler, die dandyhafte Kleiderpuppe als stocksteifer Schachweltmeister, der Rettungsreifen mit unsympathischem Reißverschluss-Mund und Dollarnoten-Krawatte als Ölmagnat, der ehemalige Inhaftierte Dr. B. als gezeichnetes Opfer im Rollstuhl.

Kautz filtert klug die zentralen Sätze aus der Novelle und legt sie den Personen in den Mund. Dramatisch entwickelt sich das Spiel, als Dr. B. durch Kontakt mit dem Schach an Bord an seine dunkle Vergangenheit erinnert wird. Der Ratte vertraut er seine Geschichte an und durchlebt — auch rein optisch — eine Verjüngungskur. Er legt Schnauzbart und graues Haar ab, steht aus dem Rollstuhl auf. Die Schiffskulisse verwandelt sich in ein Hotelzimmer. Dort erleidet der Bankier, dem die Nazis Bankgeheimnisse über das Vermögen von Kirchen und Klöstern abpressen wollen, eine einjährige Tortur der völligen Isolation. Als er beinahe zufällig in den Besitz eines Schach-Buches mit 150 Turnier-Partien gelangt, fühlt er sich zunächst geistig erfrischt.

Doch bald schon wächst sich das Schachspiel zur Manie aus, er beginnt wahnhaft gegen sich selbst zu spielen und wird schizophren: Der Puppenkopf spaltet sich in zwei Hälften. Beklemmend. Körperlich spürbar geradezu wird das Leid des Mannes beim Verhör, als über das Mikrofon live und aus dem Off ein unerträgliches Stimmengewirr von Fragen auf ihn eindringt. Und die Glühbirne unaufhörlich flackert.

Die meisten Regie-Einfälle von Sebastian Kautz sind beeindruckend. Etwas nervig dagegen die übertriebene Lautstärke in den dramatischen Momenten und einige Mätzchen, wie das akrobatische Klettern auf dem Rollstuhl, um an das Schach-Buch zu gelangen. Bei Stefan Zweig nimmt der Gefangene das Buch heimlich aus dem Mantel eines Offiziers an der Garderobe.

Konzentriert und spannend wieder das Finale. Alle Figuren sind miteinander verbunden. Kautz beleuchtet die jeweilige Person, während er die letzten Dialoge spricht.

Das Publikum war sehr angetan. Dankbar nahmen viele das Angebot an, sich die Figuren nach der Vorstellung näher anzusehen. Ein Wiedersehen mit der Bremer Bühne beim nächsten Budenzauber-Festival für Erwachsene wäre schön.