Nazi-Opfer Margarethe wurde nur zwei Jahre alt
Hüls. Es ist eine laue Frühsommernacht vom 21. auf den 22. Juni im Jahr 1943. Im Stadttheater an der Rheinstraße (damals Adolf-Hitler-Straße) steht die Operette „Die lustige Witwe“ von Franz Lehar auf dem Programm.
Im Wohnhaus an der Inrather Straße 145 bringt Elisabeth Papendell ihre beiden Söhne Hermann (11) und Jakob (6) zu Bett. Weitere vier Kinder sind auf „Kinderland-Verschickung“ in Süddeutschland.
Vater Jakob ist an der Westfront, die behinderte Tochter Margarethe (2) in der Kinderfachabteilung Waldniel, einer Außenstelle der Heil- und Pflegeanstalt Süchteln. Margarethe wird nur noch neun Tage am Leben sein. Die über 180 000 Menschen in Krefeld stehen vor dem schwersten Bombenangriff auf ihre Stadt. Über 1000 Tote sind nach dem Angriff von mehr als 700 alliierten Bombern zu beklagen.
„Ich musste vor Rührung weinen, als ich davon gehört habe.“ Jakob Papendell (geboren 1937) spricht vom „Stolperstein“, der im Dezember 2011 auf der Inrather Straße in Gedenken an seine Schwester Margarethe gelegt wurde. Jakob ist eines der letzten lebenden acht Kinder des katholischen Ehepaares Jakob und Elisabeth Papendell. Er lebt seit mehr als 50 Jahren in Australien.
Wegen einer körperlichen Behinderung steckten die Nazis Margarethe 1943 in die Heil- und Pflegeanstalt in Bonn. Sie war zu diesem Zeitpunkt gut ernährt und gepflegt. Später wurde sie in die Kinderfachabteilung Waldniel verlegt. Jakob Papendell hat das Mädchen als Sechsjähriger mit seiner Mutter besucht. „Ich habe sie als fröhliches und lebhaftes Kind in Erinnerung.“
Am 30. Juni 1943, kurz nach ihrem zweiten Geburtstag, starb sie offiziell an einer „akuten Herz-Kreislaufschwäche“. So jedenfalls steht es in der erhaltenen Krankenakte. Ihre Eltern — der Vater war Heizungsbauer von Beruf — wurden erst im folgenden September über den Tod benachrichtigt. Historiker gehen davon aus, dass sie keines „normalen“ Todes gestorben ist. „Das Kind ist nicht abrichtfähig“, ist der Titel einer Dokumentation des Kempeners Andreas Kinast über die Nazi-Gräuel von Waldniel in den Jahren 1941 bis 1943. Dort findet sich auch der Totenschein von Margarethe.
Nach Waldniel wurden die Kinder von Amtsärzten überwiesen. Die Nazis betrieben die als Sterbehilfe geschönte Euthanasie systematisch. Ziel war der „erbgesunde Volkskörper“. Ihm fielen Menschen zum Opfer, die beispielsweise an „Mongolismus“ litten (heute: Down-Syndrom). Andere Diagnosen, die einem Todesurteil gleichkamen: Missbildungen jeder Art, Lähmungen, Klumpfuß, „Idiotie“. Den menschenverachtenden Vermerk „nicht abrichtfähig“, der im Buchtitel steht, fand Kinast in einer Akte in Waldniel.
Das einstige Wohnhaus der Familie Papendell an der Inrather Straße 145/Ecke Girmesdyk steht nicht mehr. Dort wohnte die kleine Margarethe mit ihrer Familie. Sie kam am 9. Juni 1941 zur Welt. An dieses kurze Leben erinnert seit Dezember 2011 der Gedenkstein aus Messing, den die Lebenshilfe Krefeld gespendet hat. Das Haus wurde bei dem Großangriff auf Krefeld in der Nacht vom 21. zum 22. Juni 1943 von Bomben zerstört.