90 Jahre Pfarrorchester St. Andreas: Marschmusik und Michael Jackson

Das Pfarrorchester St. Andreas feiert sein 90-jähriges Bestehen. Es verfügt über ein breit gefächertes Repertoire.

Foto: Pfarrorchester St. Andreas

Krefeld. Tief versunken in den Kissen eines Sofas hielt sich Franz Claßen bei seiner ersten Probe vor 46 Jahren an seinem Flügelhorn fest. Im „Höffgen“ in Gellep-Stratum saß der 17-Jährige in das sowohl für Kneipen als auch fürs Musizieren ungewöhnliche Möbel gepresst im Kreise von fast 30 Musikern seines Orchesters. Es waren ganz besondere Zeiten, über die der heutige Vorsitzende des Pfarrorchesters St. Andreas 1926 immer noch schmunzeln muss.

Genauso wie Hans Kreutz, mit 70 Jahren ältester aktiver Musiker der Gruppe, wenn er über Wirtin Minchen spricht, die sich mit den Worten „Nehmt euch, was ihr braucht“ während der Proben ins Bett verabschiedete, um dann zum Kassieren noch einmal aufzustehen.

Es ist die „Liebe zur Musik“, die die Menschen seit 90 Jahren in dieses Orchester zieht, da sind sich Claßen und Kreutz einig. Claßen hatte als Kind und Jugendlicher „schon immer ein Instrument lernen wollen, aber bei sechs Kindern war kein Geld für eine Musikschule da“. Ein Kumpel habe ihn mit ins damals ganz eng an die Kirchengemeinde St. Andreas angegliederte Orchester mitgenommen. Der Kumpel hörte irgendwann auf. Claßen blieb.

Bei Hans Kreutz war die Leidenschaft für Blasmusik sozusagen vererbt. Sein Vater Stephan gehörte zu den Gründern des Orchesters, und er hatte „einen Schwager, der die göttliche Gabe hatte, Leute auszubilden“. Schon nach einem halben Jahr in der Gruppe habe er mitspielen können — erst war er Trompeter, heute ist er Posaunist.

Das Ausbilden der eigenen Leute wird im Verein auch heute noch groß geschrieben. „Man muss eigentlich nicht mal Noten lesen können, wenn man zu uns kommt“, sagt Claßen. Wenn nach den ersten Schnupperproben die Chemie stimmt, ist alles klar. „Man muss einfach nur Lust zum Musikmachen haben.“ Und dafür muss man auch heute nicht Krösus sein. Denn die Instrumente und auch die Uniformen werden gestellt.

Derzeit sind unter den insgesamt 37 spielenden Mitgliedern sieben Kinder und Jugendliche „in der Ausbildung“, wie es im Pfarrorchester heißt. Die Jüngsten sind neun Jahre alt, haben mit sieben bereits angefangen.

Über die Jahre ist die Zahl der Musiker stetig gewachsen, weswegen zunächst Minchens Kneipe, die man seit 1947 genutzt hatte, Anfang der 1970er-Jahre zu klein wurde und dann das Pfarrheim. Mitte der 1980er wurden die Proben deshalb in den Kirchraum verlegt. Nachdem die Bänke zur Seite geschoben, die Stühle runtergeholt und die Instrumente ausgepackt waren, machten sich dann außer den für Blasorchester üblichen Kirchenliedern oder Märschen auch schon Schlager und Karnevalsmelodien.

Denn was das Repertoire angeht, stand für die Männer und Frauen irgendwann fest, „damit kann man kein Geld verdienen, um Noten, Instrumente und Uniformen zu finanzieren, und wir wollten auch Kinder begeistern“, erzählt Claßen. Bei Kirchenfesten und Messen zu spielen oder beispielsweise die Gläubigen der Gemeinde auf der Wallfahrt nach Kevelaer musikalisch zu begleiten, war das eine.

1975 ging die Truppe zum ersten Mal für ein Schützenfest auf die Straße — für das Ereignis in Oppum hatten sie mit einem Militärmusikkapellmeister marschieren und Formationen geübt. „Damals wurde die Zahl der Orchester, die so etwas konnten, schon knapp“, berichtet Claßen. Heute bestreiten die Gellep-Stratumer beispielsweise in Fischeln mindestens drei Tage Schützenfest. In Spitzenzeiten sind zwischen 50 und 70 Auftritte pro Jahr zu absolvieren.

Dass zum Repertoire Stücke wie „Tochter Zion“ als Prozessionsmarsch genauso wie die „Deutsche Messe“ von Schubert und „fast alle Lieder, die im Gebetbuch stehen“, wie Hans Kreutz sagt, gehören, interessiert beim Frühschoppen der Schützen selbstverständlich niemanden.

Und auch die 70 Märsche, die die Musiker „mehr oder weniger ungeprobt“ beherrschen, nicht. Da muss was Flottes her, wie Filmmelodien von „Jurassic Parc“ und „Pirates of the Caribbean“ oder Hits von Abba, den Beatles, Queen oder Michael Jackson. Notensätze für fast 2000 Musikstücke stehen gut sortiert in drei fast deckenhohen Schränken im Vereinsheim an der Römerstraße.

Dort zog das Orchester 2004 ein. Keine Absprachen mehr, ob in der Kirche andere Veranstaltungen sind, kein Stühle-rücken, kein Instrumentenschleppen — hier ist Platz, auch für eine Theke. Die Verantwortlichen nutzten die Gunst der Stunde, als sich zwei Mitglieder selbstständig machen und dafür ein eingeschossiges Haus bauen wollten.

Der Deal: „Wir helfen beim Bau, bringen unsere Arbeitskraft mit und dafür werden es zwei Geschosse“, erzählt Claßen über das Wohnrecht, dass sich die Vereinsmitglieder in einem Jahr Bauzeit gesichert haben. „Ein Vereinsheim prägt einen Verein“, sagt der Vorsitzende. Es ist viel passiert, seit Minchen beim Proben schlafen ging.