Tag des Sehens: Wenn die Kaffeetafel zur Herausforderung wird
Experiment in der Gartenstädter Lukaskirche: Ohne Hilfe kommen Sehende mit simpelsten Abläufen nicht zurecht.
Krefeld. Das Experiment beginnt an der Zimmertür. Mit der übergestreiften Schlafbrille schwinden das Tageslicht und damit die Sehkraft. Plötzlich ist alles Stockdunkel und der einzige Gedanke lautet: "Hab Vertrauen in die Führungskraft." Es ist eine freundliche Helferin, die den Arm nimmt und langsam zum Tisch ins so genannte Dunkelcafé in der Lukaskirche leitet. Dort informieren Mitglieder des Blinden- und Sehbehindertenvereins zum bundesweiten "Tag des Sehens", indem sie die willigen Gäste für eine halbe Stunde erblinden lassen.
So ungefähr fühlen sich Blinde und sie wissen, es ist nicht nur ein Versuch auf Zeit, sondern eine fehlendes Sinnesorgan fürs Leben. Ohne die hilfreichen Erklärungen von Monika Freyer vom Blindenfürsorgeverein wäre die Hilflosigkeit komplett. "Hier ist der Tisch, dort der Stuhl, hier steht die Kaffeetasse und daneben ist der Teller." Erstes Fazit: "Im Sitzen geht schon mal alles besser." Dafür steigt die Geräuschkulisse der Menschen im Raum scheinbar an.
Auf dem Platz nebenan hat auch Pfarrer Christoph Tebbe den Mut zur Blindheit; sich die Hände zur Begrüßung zu reichen, klappt für die Sehunfähigen auf Zeit gar nicht so schlecht. Im Gespräch werden die Stimmen erhoben. "Dabei sind die Nachbarn doch nicht taub "
Diese Reaktion bestätigt Susanne Hennings, die Vorsitzende des Blindenvereins: "Das kennen wir, denn viele Menschen sind es einfach nicht gewohnt, mit Blinden umzugehen. Sie reden laut, ignorieren uns und sprechen nur mit unserer Begleitperson oder tippen uns sogar an. Das ist ganz grässlich."
Dann geht es ans Kaffeetrinken; die tägliche Mehrfachhandlung, die bisher ohne besondere Beachtung stattgefunden hat. Das schwarze Getränk wird den Kurzzeit-Blinden freundlicherweise eingeschüttet.
Das Problem ist die Milch. Mit einer Hand die heiße Tasse orten und halten und dann kommt die Milch hinein. Das Milchkännchen ist nach einiger Zeit ertastet; dann schütten. Ist die Milch jetzt drin und wenn ja wie viel oder ist sie gar daneben geflossen? Totale Ratlosigkeit. Auch hier gibt es Hilfe: "Zuerst die Milch in die Tasse schütten, mit dem Finger prüfen und dann erst den Kaffee."
Dafür ist es zu spät. Ein weiterer Tipp: "Die Milch über den ausgestreckten Finger in die Tasse laufen lassen." Das Meiste landet bei den Probanden dennoch auf dem Tisch.
Obwohl es meist Frauen sind, die sich auf das Experiment einlassen, sitzt an der anderen Seite Werner Schibalski, ebenfalls mit Schlafbrille: "Das ist ganz schön ungewohnt. Ich liebe die Helligkeit, das hier ist nicht angenehm." Tebbe kämpft wie alle mit dem Kuchen. Meist bleibt die Gabel leer. Hier ist der Zeigefinger der anderen Hand hilfreich.
Aber entweder ist das Stück auf der Gabel zu groß oder zu klein. Die Hand geht ganz langsam zu Mund. Sie prüft auch, ob der Teller leer ist. Der Tipp der hilfreichen Stimme aus dem Off: "Mit Löffel und Gabel essen."
Mit dem Abstreifen der Brille wird es wieder hell. Die Betroffenheit bleibt noch einige Zeit: "Das war nur die Bewältigung der einfachsten Dinge des Lebens "