Polizei Tod eines Schülers - Wie Martins Schicksal andere Leben retten soll

Krefeld · Die Polizei bringt Krefelder Schülern den Tod im Straßenverkehr eindringlich näher. Die Schüler sollen die Realität auf harte Weise erfahren.

Hans und Dorothea Pasch verloren ihren Sohn Martin vor elf Jahren bei einem Unfall. Foto: Lothar Strücken

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Der Saal im Seidenweberhaus ist abgedunkelt. Die Strahler werfen einen Lichtkegel auf die Bühne. Dorthin, wo das Ehepaar Pasch aus Grefrath sitzt und von seinem schlimmsten Moment erzählt. Damals 2009, als einer ihrer zwei Söhne, der 15-jährige Martin, bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Der zweite Sohn war ebenfalls in den Unfall verstrickt, überlebte das Drama allerdings. Am Unfallort erfuhren die Eltern vom Tod ihres Kindes.

Eindrucksvoll sind die Schilderungen des dunkelsten Moments, detailreich, beklemmend. Seit 2012 nimmt die Familie Pasch schon am Crash-Kurs NRW teil, einer Initiative der Polizei NRW, das zu den Aktionen der abgewählten rot-grünen Landesregierung gehört. Für die Paschs bedeuten die Auftritte vor einer großen Zuhörerschaft auch ein Stück seelische Verarbeitung, Trauerarbeit. Sie lassen andere teilhaben daran, wie sie mit dem Tod umgegangen sind.

Die Schüler sollen die Realität auf harte Weise erfahren

800 Schüler im Alter von 17 bis 24 Jahre des Vera-Beckers-Berufskollegs kamen zum 100. Krefelder Crash-Kurs ins Seidenwerberhaus. „Realität erfahren, echt hart“, heißt der Leitspruch. Die Krefelder Polizei will junge Menschen für die Gefahren im Straßenverkehr sensibilisieren. Ihnen den Tod vor Augen halten. Und das durchaus aufgeladen mit dramaturgischen Elementen, was nicht nur Fürsprecher findet.

In einem lauten Kurzfilm beschleunigt ein Motorrad auf einer Allee, der Asphalt verformt sich, die Bäume werden bedrohlicher, Zacken, Klingen, auch an den Laternen am Straßenrand. Soll heißen: Je höher das Tempo, desto gefährlicher wird auch die Umwelt. Überhöhte Geschwindigkeit sei immer noch in den meisten Fällen die Unfallursache Nummer eins, sagt Moderator Rainer Behrens, Direktor für den Verkehr und die Unfallprävention, als er zur versammelten Schülerschaft spricht: „Als wir mit der Kampagne 2012 begonnen haben, war jeder fünfte Unfalltote in NRW in eurem Alter.“ In Krefeld waren im Jahr 2012 noch 135 junge Erwachsene, in 2017 dagegen 112 in Unfälle verstrickt. Ein Tiefstwert seit 2006.

Ablenkung am Steuer, Smartphones, nicht angelegte Rettungsgurte. Aber auch Drogen und Alkohol haben durchaus Gefahrenpotenzial im Straßenverkehr. Behrens: „Auch geringer Drogenkonsum kann die Reaktionszeit und Wahrnehmung dauerhaft beeinträchtigen.“

Rettungskräfte erzählen von ihren Momenten am Unfallort

 Die Atmosphäre im Saal ist von Ergriffenheit geprägt. Dunkelheit, Traueranreize, sehr detaillierte Schilderungen von beteiligten Rettungskräften. Was sie dachten, was sie fühlten. In einem Einspieler spricht eine fiktive junge Frau zu ihren Eltern, während sie auf der Straße liegend nach einem Unfall stirbt – durch fremde Schuld. Immer wieder auch Fotos von Unfallorten, blutverschmierte Leitplanken, ramponierte Fahrzeuge im Straßengraben. Dazwischen Vorträge von Beteiligten.

Feuerwehrmann Marco Gorgs, ein Familienvater, berichtet über sein Leid, weil er bei einem Einsatz einen anderen Vater nicht mehr aus einem havarierten Auto retten konnte. Die Türen klemmten, das Fahrzeug lag im Graben. Der Notarzt stellte später nur noch den Genickbruch fest. „Wir konnten nichts mehr tun.“ Oder die Polizistin Juliane Bienert, die mit Freunden eines verunglückten Motorradfahrers noch am Unfallort sprach, wie für diese dann am Ende eine Welt zusammenbrach. Sie selbst aber lange noch Hoffnung hatte für den Verunglückten und dachte: „Das wird schon gut gehen.“ In ihrer Einleitung sagt sie: „Kein Tag ist wie der andere.“

Rettungskräfte in Grenzsituationen. Oder auch die Seelsorgerin Claudia Wichmann, die berichtet, wie sie den Eltern den Unfalltod des Sohnes erklärt. Wie schnell es gehen muss, ehe es die Familie aus dem Internet erfährt. Momente der Unfassbarkeit. „Die Mutter wollte es nicht glauben“, sagt sie. Als am Ende die Familie Pasch über ihre Erlebnisse berichtet, verlassen einige Schüler weinend den Saal. Seelsorger stehen auch da zur Verfügung. Die Veranstaltung geht unter die Haut.

Der Ursprung der Kampagne entstand in der britischen Grafschaft Staffordshire. Dann machte es auch in Nordrhein-Westfalen Schule. In den vorangegangenen 99 Veranstaltungen des Crash-Kurses in Krefeld erreichte die Krefelder Polizei insgesamt 14 213 Schüler im Stadtgebiet.