WZ-Interview mit einem Arzt: „Wenn der Körper müde ist, können Fehler passieren“
Ein Assistenzarzt der Inneren Medizin spricht Klartext: 15 Stunden am Stück ohne Pause arbeiten — das sei an der Tagesordnung.
Krefeld. Gegen die Helios-Klinik Hüls wurde Anzeige erstattet (die WZ berichtete). Ärzte sollen mehr als 24 Stunden am Stück arbeiten — lautet der Vorwurf. Eine 56-jährige Ärztin war nach einer 24-Stunden-Schicht auf dem Nachhauseweg tödlich verunglückt. Die WZ sprach mit einem Krefelder Assistenzarzt im fünften Jahr über die Probleme im Krankenhaus-Alltag.
Ist eine 24-Stunden-Schicht zumutbar?
Stefan Ludwig (Name von der Redaktion geändert): Nein, zumindest nicht, wenn die Vorschriften nicht eingehalten werden. Eigentlich dürften wir im Bereitschaftsdienst, der von einer 24-Stunden-Schicht rund 16 Stunden ausmacht, nur knapp die Hälfte der Zeit arbeiten. Doch das ist absoluter Blödsinn. Realistisch ist eine Auslastung von 70 bis 80 Prozent. Wenn ich drei Patienten habe, sage ich nicht einfach ,Entschuldigung, aber ich muss jetzt erst mal zwei Stunden schlafen’. Nach dem offiziellen Dienstende schreibe ich auch oft noch Übergaben oder Entlassungsberichte.
Wie lange arbeiten Sie im schlimmsten Fall an einem Stück?
Ludwig: Es kann schon sein, dass ich 17 Stunden und mehr auf den Beinen bin — ohne Pause.
Gibt es denn keine alternative Arbeitsmodelle?
Ludwig: Schon, das Schichtmodell zum Beispiel, also Früh-, Spät- und Nachtdienste. Dafür werden aber deutlich mehr Ärzte benötigt als mit Bereitschaftsdienst. Das ist den Krankenhäusern häufig zu kostspielig. Auch bei den Ärzten selbst ist das Modell trotz humanerer Arbeitszeiten nicht gern gesehen. Bereitschaftsdienste machen eben einen Großteil des Einkommens aus.
Wie viel Geld hätten Sie im Monat weniger zur Verfügung?
Ludwig: Das ist verschieden. Zwischen 400 und 800 Euro netto. In manchen Fällen — je nach Arbeitgeber — kann die Summe noch höher sein. Wenn man Familienvater ist wie ich, dann überlegt man sich doppelt, ob man darauf verzichten kann.
Ist Ihnen schon einmal ein Fehler bei einer Behandlung passiert, weil Sie übermüdet waren?
Ludwig: Bisher zum Glück nicht. Man kann das aber auch nicht ausschließen. Manchmal kommt es auf eine Sekunde an. Wenn der Körper dann müde ist, passieren Fehler. Als Student hatte ich auf dem Nachhauseweg von Bonn nach Krefeld einen Auffahrunfall. Davor stand ich stundenlang im OP.
Ärzten stehen Ruheräume mit Betten zur Verfügung. Können Sie mitten im Krankenhaus-Stress überhaupt schlafen?
Ludwig: An meinem ersten Tag in der Klinik, wurde mir der Raum mit Badezimmer, Fernseher und Betten gezeigt. Wirklich schön. In den ersten Wochen habe ich ihn allerdings nicht wiedergesehen, ich habe durchgearbeitet. Mittlerweile nutze ich ihn für Pausen, aber wirklich abschalten kann ich nicht. Der letzte Patient geht mir noch durch den Kopf, ich wache immer wieder auf, schaue aufs Telefon, ob ein Notfall reingekommen ist.
Warum wehren sich die Ärzte nicht gegen die enorm hohe Arbeitsbelastung?
Ludwig: Die Frage bekomme ich öfters gestellt. Das ist nicht so einfach. Der Druck ist sehr hoch, da traut man sich nicht alleine, den Mund aufzumachen. Zudem wollen einige Ärzte eben nicht auf die 24-Stunden-Schichten verzichten, weil sie weniger Geld verdienen würden. Da auf einen Nenner zu kommen, ist schwer. Manchmal klappt es aber. In meiner Klinik hat die Ärzteschaft geschlossen gesagt, dass es so nicht weitergeht.
Hat der Protest etwas bewirkt?
Ludwig: Ja. An einem normalen Tag arbeite ich jetzt von 7.30 bis 16.30 Uhr ohne anschließenden Bereitschaftsdienst. Dann gibt es Tage, an denen ich nur Bereitschaftsdienst habe, der geht dann von 13 bis 9.30 Uhr am Folgetag. Mir werden bei der Abrechnung allerdings bis zu acht Stunden von meiner absolvierten Arbeitszeit abgezogen.
Warum das?
Ludwig: Das frage ich mich auch. Die Begründung der Kliniken ist, dass wir keinen kompletten Tag mehr arbeiten können, da um 9.30 Uhr Dienstende ist und wir unseren Freizeitausgleich nehmen müssen.
Ist das trotzdem noch ihr Traumberuf?
Ludwig: Auf jeden Fall. Ich wusste: Das Arbeiten wird kein Zuckerschlecken, vor allem in den ersten Jahren hat man wenig Freizeit. Aber ich gehe jeden Tag über meine Station und spreche mit Patienten, Angehörigen und Kollegen. Das ist eben mein Bonus, der Kontakt mit den Menschen.