Zeitreise: Die Hektik bleibt vor der Tür
Wer die Drogerie von Josef Lawaczeck in Hüls betritt, kehrt ein in eine frühere, ruhigere Zeit.
Krefeld. Es ist geradezu, als durchschreite man eine Zeitschleuse. Schon die Ladentür an der Konventstraße ruft Erinnerungen wach. Hier surrt keine elektrische Schiebetür wie von Zauberhand zur Seite, hier muss noch selbst die Klinke in die Hand genommen werden. Wenn denn nicht schon Josef Lawaczeck zur Stelle wäre, mit einem freundlichen Lächeln, das gleich das wohlige Gefühl vermittelt: Hier bist du willkommen.
"Das Abholen von der Tür ist reiner Zufall", winkt der alte Herr bescheiden ab. Das Wegbringen dagegen ist Lawaczecks ganz persönliche Note. "Das habe ich bei meinem Vater beobachtet." War der ebenfalls Geschäftsmann? Nein, nein Beamter in Viersen. Schöne, alte Zeit...
"Was darf’s denn sein?" Aufmerksam sind die Augen des Drogeristen auf seine Kundin gerichtet. Nun, heute einmal Antworten. Denn es soll jenem Phänomen Lawaczeck auf den Grund gegangen werden, das den Besucher selbst in der Adventshektik in eine wohlige Entspanntheit entschleunigt. Ein Phänomen, das den Hülsern so lieb ist. Umso mehr fuhr ihnen der Schreck in die Glieder, als vor gut einem Jahr der nunmehr 82-Jährige angekündigt hatte, sein alteingesessenes Geschäft bald schließen zu wollen. Die Konventstraße ohne Lawaczeck? Undenkbar.
Hier haben Generationen von Hülsern eingekauft. Schon Urgroßvater Lawaczeck hatte an dieser Stelle mit seiner Tochter einen Gemischtwarenladen. Streng und bärtig blickt dieser heute noch aus einer Ecke des Lokals hervor, als Foto, versteht sich.
1905 eröffnete ein Sohn, der Apotheker war, die Drogerie. "Das Regal und die alten Schränke stammen noch aus dieser Zeit", deutet Josef Lawaczeck, der selbst seit 1944 in der Konventstraße bedient, hinter sich. Liebevoll sind in dem Holzregal mit seinen kleinen Apotheker-Schubladen die Waren aufgereiht: die verschiedensten Honigsorten, diverse Mittel, um Garten-Schädlingen zu Leibe zu rücken, spezielle Gewürze für die Weihnachtsbäckerei, zahlreiche Produkte für die Gesundheit und, und, und.
Nein - so weit geht die Zeitreise nicht, dass der Kunde überholten Kram erstehen könnte. Auch mit seinen 82 Jahren geht Lawaczeck noch mit der Zeit, reagiert mit seinem Angebot auf die Nachfrage. Diese Mischung aus Alt und Neu, mit alter Waage neben modernen Badeschlappen, mit vor hundert Jahren beschrifteten Schubladen, die Gewürze beherbergen, macht noch einmal einen ganz besonderen Reiz aus. Und eben die Gelassenheit, die einen nach dem hektischen Geschiebe in den Supermärkten der Vorweihnachtszeit wie ein Herauspurzeln aus der Normalzeit anmutet.
Zitat an einer Wand in der Drogerie von Josef Lawaczeck
Ja, jetzt ginge es bei ihm beschaulich zu, bestätigt Lawaczeck. "Aber das liegt daran, dass es eigentlich kein Geschäft mehr ist." Gegen die Drogerie-Ketten komme er eben nicht an. Zwar hätte der Senior schon längst in den Ruhestand gehen können. Doch Verkaufen und der Kontakt mit Menschen sei nun mal sein Hobby.
Dingeling. Eine alte Dame, schwer beladen, kommt lamentierend ins Geschäft. Wie ihr das nur habe passieren können, fragt sie sich laut. Ihren Schlüssel habe sie vergessen. "Setz dich doch erst mal", rät Lawaczeck aufmerksam und greift zum Telefonhörer. Er rufe jetzt die Verwandten an. "Die haben doch auch einen Schlüssel."
Eine solch freundliche Geste - selbstverständlich für den Geschäftsmann. Mit Sorge beobachte er aber, dass dieses aufeinander Achten nicht mehr zum Allgemeingut gehöre. "Diese kleinen Dinge, die das Leben so lebenswert machen, sind leider nicht mehr aktuell, scheint mir."
Plötzlich zwitschert und tiriliert es. "Das ist meine Vogeluhr", erklärt Lawaczeck schmunzelnd. Doch auch diese - so zeigt sich - verweigert sich der Normalzeit. Die Uhrzeit stimmt zwar, doch die Vogelstimme passt nicht zum angezeigten Tier, dem Rotkehlchen. Das allerdings, so sagt der Hobby-Ornithologe bedauernd, könne er ohnehin nicht mehr richtig hören.
Das Alter macht eben auch einer Institution wie Lawaczeck zu schaffen. Und so kommt ihm auch immer wieder der Gedanke ans Aufhören in den Sinn. Nur wann? Da will er sich nicht festlegen. Die Besucherin jedenfalls muss nun wieder los. Die Normalzeit hat sie eingeholt. Versteht sich von selbst, dass der Geschäftsinhaber galant die Türe aufhält.