20 000 Kilometer Freiheit
Vier Monate lang reiste Bernd Schneider (55) auf einer 40 Jahre alten BMW durch den Norden von Kanada.
Erkrath. Stille. Einsamkeit. In der Ferne ein näher kommendes Motorengeräusch. Auf dem Dempster Highway eine Seltenheit. Bernd Schneider hält sein Gesicht in die sengende Sonne. Das gleichmäßige, heiser-blecherne Grummeln seiner 40 Jahre alten BMW, mit der er die Schotterstraße bezwingt, beruhigt ihn, unterbricht den Schlaf der kanadischen Prärie.
Seit fast 735 Kilometern ist ihm kein anderes Fahrzeug begegnet. Bernd Schneider atmet tief ein, schmeckt die Freiheit förmlich auf den vom Fahrtwind ausgetrockneten Lippen und genießt nur eines — den Moment.
Der Erkrather verwirklichte sich im vergangenen Jahr seinen großen Jugendtraum: Vier Monate fuhr der 55-jährige Single mit seinem Motorrad auf der nördlichsten durchgehend befahrbaren Strecke quer durch Kanada. Startpunkt der Reise war Toronto, von dort ging es Richtung Nordwesten bis nach Inuvik am Nordpolarmeer und schließlich nach Vancouver am Pazifischen Ozean.
„Ich bin großer Kanada-Fan, seit ich 15 Jahre alt bin. Bevor ich und mein Motorrad zu alt sind, musste ich es einfach tun“, sagt Schneider, dem sein großer Traum 10 000 Euro wert war.
400 000 Kilometer hat seine alte BMW nun auf dem Tacho, 20 000 Kilometer davon hat er in Kanada gesammelt. „Sie hat mich während der ganzen Reise kein einziges Mal im Stich gelassen“, erzählt der Abenteurer und Motorrad-Fan. „Doch kaum war ich wieder zu Hause, gab sie ihren Geist auf.“
„Es war das absolute Freiheitsgefühl: kein Handy, kein Wecker, keine Termine“, schwärmt der studierte Grafikdesigner. Voller Abenteuerlust drang er in die absolute Wildnis ein, begegnete hungrigen Schwarzbären, durchstreifte verwilderte Wanderwege und paddelte mit einem Kanu durch die abwechslungsreichen Landschaften Kanadas. Der liebliche Osten mit seinem skandinavischen Hauch faszinierte ihn ebenso wie die Hochgebirgskulisse im Westen.
Wenn Schneider morgens aufwachte, auf dem Kopf lediglich eine grüne Plane zum Schutz vor Mücken, musste der Städter erst einmal blinzeln, wenn sich das sternenreiche Himmelszelt in einen wolkenlosen, tiefblauen Himmel verwandelt hatte.
Mit Konservendosen im Gepäck, war der Erkrather tagelang von der Zivilisation abgeschlossen: „Einmal bin ich auf einer Wanderung einem kleinen Schwarzbären begegnet. Zehn Minuten stand ich vor ihm, ohne mich zu bewegen“, erzählt Schneider. Das Adrenalin schoss in seine Adern. Die Angst, dass jederzeit die Bärenmutter auftauchen könnte, ließ ihm den Atem stocken. „Ich war schon ein paar mal in Kanada. Ich kenne die Gefahren. Die Sorglosigkeit ist schon längst weg.“
Aus der Wildnis wieder aufgetaucht, genoss der Abenteurer die Lebendigkeit der Großstädte. Die riesigen, verglasten Hochhäuser beeindruckten den Erkrather ebenso wie die dort lebenden Menschen: „Die Kanadier sind entspannt, unkompliziert und kontaktfreudig“, sagt Schneider und erinnert sich an gesprächige Abende auf Campingplätzen, zufällige Begegnungen und überraschende Wiedersehen mit anderen Reisenden und Abenteurern.
„Zurück in meinem Alltag kommen mir zwischendurch immer wieder Bilder in den Kopf, kurze Szenen meiner Reise“, sagt Schneider, „und dann schmecke ich sie wieder: die große Freiheit!“