Merkwürdiges Verkaufsmodell in der Mittelstraße Wie eine scheinbare Metalband Passanten CDs aufschwatzt

Hilden · Schon seit Jahren häufen sich Berichte über eine dubiose Metal-Band aus Estland, die in deutschen Fußgängerzonen CDs verkauft. Jetzt wurde California Condor auch in Hilden gesichtet. Was hat es mit der Gruppe auf sich?

Dieses Album verkaufen die angeblichen Mitglieder der Metal-Band California Condor auch in Hilden.

Foto: Theresa Szorek

„Sprechen Sie Englisch? Mögen Sie Rockmusik?“ So sprechen vermeintliche Mitglieder der estnischen Metalband California Condor Passanten auf der Straße an. Ihr Ziel: Möglichst viele CDs verkaufen. „Geben Sie einfach, was Sie wollen“, sagt einer der Männer mit Augenbrauenpiercing und Ziegenbart. Und fügt hinzu: „Wir empfehlen mindestens zehn Euro.“ Junge Musiker, die noch echte Musik machen, müsse man unterstützen, führen die jungen Männer aus. Ihre Band mithilfe der sozialen Medien und herkömmlichem Marketing im Internet bekannt zu machen, sei nichts für sie. Mit ihrem Publikum sprächen sie lieber von Angesicht zu Angesicht. Offline, im echten Leben.

Die vermeintlichen Bandmitglieder sind in ganz Europa unterwegs und verkaufen in Fußgängerzonen und auf Baumarktparkplätzen ihre Tonträger. Man trifft sie eher in kleinen Städten als in Berlin oder Hamburg, auch in Hilden wurden sie bereits gesichtet – zuletzt vor einigen Wochen. Manchmal stehen sie auch auf großen Festivals wie Rock am Ring herum und verkaufen dort ihre Alben, die Titel wie „Pale Horse“, „Red Horse“ oder „Black Horse“ tragen. Eine Band, die ihren Traum lebt und versucht, dabei unabhängig zu bleiben, sich nichts von den großen Plattenfirmen und Internet-Algorithmen vorschreiben lässt – das klingt doch erst einmal gut. Oder etwa nicht?

Die Band gibt es – unter verschiedenen Namen

Danach gefragt, wo California Condor zu Zeit tourt, wird der Mann mit dem Augenbrauenpiercing vage. „Überall“, sagt er. „Aber kaufen Sie sich am besten einfach eine CD.“ Sein ziegenbärtiger Freund wird nach der zweiten Nachfrage sogar patzig. „Warum wollen Sie junge Musiker nicht unterstützen?“ Die  Männer sprechen nur Englisch. Sie wirken sorglos, aber irgendwie auch ein wenig verloren. Irgendetwas stimmt hier nicht. Eine kurze Recherche bringt Gewissheit: California Condor ist eine Masche.

Offiziell gibt es die estnische Metalband seit über zehn Jahren, sie existierte aber unter wechselnden Namen: zunächst als „Defrage“, seit 2017 als „Illumenium“, vor zwei Jahren folgte dann ein weiterer Neustart als „California Condor“. Ein Grund für die Namensänderungen könnte sein, dass die Band mehrmals wegen illegalem CD-Verkauf angezeigt wurde. Denn eigentlich ist dafür eine Bewilligung notwendig.

Immerhin: Die Metalband aus Estland gibt es wirklich, auch bei den CDs handelt es sich um echte Alben. Dass die vielen jungen Männer, die in etlichen Kleinstädten in Europa gleichzeitig unterwegs sind, tatsächlich zur Band gehören, ist aber fraglich. Auf Internet-Plattformen wie Reddit finden sich hunderte Einträge von Menschen, die von den vermeintlichen Bandmitgliedern angesprochen wurden und sogar eine CD gekauft haben. Auch die sozialen Medien der estnischen Band sind mit Kommentaren von Musikfreunden gespickt, die von Erlebnissen mit den Verkäufern berichten, aus Städten wie Zweibrücken, Straubing, Siegen oder Lugano.

Am wahrscheinlichsten ist, dass es sich bei den CD-Verkäufern in den Fußgängerzonen Europas um bloße Händler handelt. Ob die echten Mitglieder von California Condor diese Verkaufsstrategie nur billigen oder sogar in Auftrag gegeben haben und damit an den Verkäufen mitverdienen, ist unklar. Bisher gab es von der Metal-Gruppe noch kein offizielles Statement dazu. Auf Nachfrage behauptet wenige Wochen später ein anderer Verkäufer am Kölner Hauptbahnhof, der Bruder des Sängers von California Condor zu sein. „Wir sind nur fünfzehn Tourmitglieder, eine kleine Crew.“ Seine Aussage klingt ein wenig einstudiert, zudem werden die CD-Verkäufer seit Jahren alle paar Tage in einer anderen Stadt gesichtet, meist sind es unterschiedliche Personen. Nach verlässlichen Tourdaten sucht man auf der wenig seriösen Webseite der Band ebenfalls vergebens.

Aber wie klingt denn nun die Musik? „Für den Preis taugt’s“, schreibt ein Reddit-User. „Da habe ich schon mehr Geld für größeren Schwachsinn ausgegeben.“ Und ein anderer gibt zu: „Bis heute finde ich die CD ein bis zwei mal im Jahr im Auto wieder und denke mir, Mensch, für die paar Piepen gar nicht so übel!“ Laut einem der Verkäufer klingt die Musik von California Condor wie „Linkin Park, aber weniger deprimierend“. Na dann.

Es gibt wohl Schlimmeres, als zehn Euro für eine Platte auszugeben, auf der immerhin mittelmäßige Musik zu hören ist. Wenigstens enthält sie nicht nur weißes Rauschen.