Jugendämter: Mehr Kinder brauchen Schutz
Auch im Kreis Mettmann steigt die Zahl sogenannter Inobhutnahmen. Jugendämter greifen ein, wenn es in der Familie gar nicht mehr geht.
Kreis Mettmann. Martina (14) war einfach alles zu viel mit ihrem Vater. Machtkämpfe und Auseinandersetzungen waren an der Tagesordnung. So hatte sich die Jugendliche das nicht vorgestellt, als sie vor einem halben Jahr von ihrer Mutter zu ihrem Vater zog. Und eines Abends eskalierte die Situation dermaßen, dass Martina von zu Hause abhaute. Später entdeckten Autofahrer sie auf der Autobahn und alarmierten die Polizei. Die sammelte die 14-Jährige auf und rief das Jugendamt an, die Martina in Obhut nahm.
Auch bei Tim schritt das Jugendamt ein, nachdem der Kindergarten dem Jugendamt gemeldet hatte, dass der Junge mit blauen Flecken übersät war und den Verdacht auf Misshandlung äußerte.
Immer öfter müssen die Jugendämter zum Äußersten greifen: der sogenannten Inobhutnahme, bei der den Eltern das Kind vorübergehend entzogen wird. Das geht aus Zahlen des Statistischen Landesamtes hervor. In NRW gab es 2010 10 145 Inobhutnahmen, 2005 waren es gerade einmal 7920. Zahlen für das Jahr 2011 liegen noch nicht vor. Im Kreis Mettmann zeichnet sich in ähnliches Bild ab. 98 Inobhutnahmen waren es im Jahr 2005, im vergangenen Jahr 165.
In Mettmann schritt das Jugendamt 2012 in 15 Fälle ein. Bei drei Verfahren ging es so weit, dass freiheitsentziehende Maßnahmen beim Familiengericht beantragt wurden, weil Jugendliche in die Psychiatrie eingewiesen werden mussten. „Das sind aber Ausnahmefälle. Und oft geschieht das auch mit Einwilligung der Eltern, die uns alarmiert haben, weil sie mit ihrem Kind nicht mehr zurecht kommen“, sagt Stephan Wischnewski, Leiter des Jugendamtes.
Die Beispiele zeigen: Inobhutnahme bedeutet nicht, dass die Ämter rigoros Eltern einfach das Kind wegnehmen. „Kommen wir ins Spiel, weil uns jemand benachrichtigt hat, dass das Kindeswohl in einer Familie gefährdet ist, dann suchen wir erst das Gespräch mit den Eltern. Sie können der Inobhutnahme einwilligen. Das passiert auch oft“, so Wischnewski. Im Notfall wird die Unterbringung in einer Bereitschaftspflegefamilie, einem Heim oder einer Wohngruppe aber auch per richterlichem Beschluss vollzogen.
Solche Notsituationen beschreibt der komissarische Leiter des Jugendamtes in Velbert, Markus Hackethal: „Das kann Misshandlung, aber auch Verwahrlosung sein, wenn beispielsweise Kinder bei Minusgraden im Winter mit kurzen Hosen in den Kindergarten geschickt werden oder zu Hause nichts zu essen bekommen.“ In Velbert gab es im vergangenen Jahr 40 Inobhutnahmen. Meldungen von Kindergärtnerinnen, Lehrerin oder Bürgern, die den Verdacht äußerten, dass es einem Kind nicht gutgeht, gab es sogar 140 Mal. „Das zeigt zunächst, dass die Menschen sehr sensibilisiert sind, wenn sie in ihrer Umgebung bemerken, dass mit einem Kind oder Jugendlichen etwas nicht stimmt. Das war früher nicht so“, sagt Hackethal. Das Verhältnis zwischen Meldungen und tatsächlichen Inobhutnahmen verdeutliche aber auch, dass „der Kindesentzug wirklich der äußerste Schritt ist, den wir als Jugendamt gehen. Wir wissen, dass jede Herausnahme eines Kindes aus einer Familie ein Trauma darstellt. Das wollen wir nach Möglichkeit vermeiden.“
Genau so sieht es auch Holger Waltersdorf von der Jugend- und Familienhilfe des Ratinger Jugendamtes, das für das Jahr 2011 19 Inobhutnahmen verzeichnet. „Das Kind zu entziehen, kann nur eine kurzfristige Lösung sein, um eine Krisensituation zu entschärfen“, stellt er klar. Danach würden sich immer erzieherische Hilfen anschließen. „Das kann eine Hebamme für junge Mütter sein, eine Haushaltshilfe oder die Unterstützung eines Familientherapeuten.“