Auf einen Kaffee am Rathaus
Die WZ hat 60 Minuten in der Bäckerei Jung verbracht — und gelauscht, was Stadtgespräch ist.
Monheim. Es sind nur wenige Plätze, die in der kleinen Bäckerei Jung am Rathausplatz zur Verfügung stehen. Aber die sind belegt. Helene Kasemann hat sich einen Tisch ergattert, sie telefoniert mit ihrer Schwiegertochter: „Du musst jetzt langsam mal herkommen, die wollen sich alle auf den einzigen freien Stuhl setzen. Ich kann die nicht immer wegschicken“, zischt sie in den Hörer, rückt den Stuhl näher an sich heran und blickt beinahe ängstlich in Richtung Eingangstür.
Hinter der Theke wuseln die drei Verkäuferinnen um Kuchen und Brötchen herum. Eine ältere Mitarbeiterin muss eingearbeitet werden, das junge, blonde Mädchen, deren Brille immer wieder von der Nase rutscht, zeigt ihr, wie die Milch heiß gemacht wird. Kurz darauf bringt sie das Glas Latte Macchiato zum Gast. „Entschuldigen Sie, ich bekomme es nicht besser hin“, sagt sie. Die Milch schwappt auf den Unterteller. Der Gast lächelt sie aufmunternd an und vergräbt seine Nase wieder in der aufgeschlagenen Tageszeitung.
Die Straße vor der Bäckerei ist gesperrt. Der Busbahnhof wird saniert. „Das stand doch in der Zeitung“, klärt die Mitarbeiterin hinter der Theke eine ältere Dame auf, während sie deren zehn Brötchen in der Tüte verschwinden lässt. „Erst im November werden die fertig. Das muss man sich mal vorstellen“, bekommt sie Unterstützung eines anderen Kunden, der zwei Stücke Kirschstreusel bestellt.
Junge Mütter mit Kinderwagen spazieren an der Fensterscheibe vorbei, machen einen Bogen um den Pappaufsteller vor der Bäckerei, der auf die Grillsaison verweist: „Grillzeit ist Brotzeit“. Einige Passanten haben die Schirme aufgespannt, die Mitarbeiter des Ordnungsamts laufen ohne Regenschutz in Richtung Alte Schulstraße.
Zwei Seniorinnen haben sich zu einer jungen Frau an den Tisch gesetzt. Der Kaffee gegenüber im Eiscafé sei ungenießbar, deshalb kommen sie hierher, sagen sie. Die Verkäuferin wird vertraut begrüßt, für einen kurzen Plausch nimmt sie sich Zeit. „Dass die Herrschaften aus dem Rathaus jetzt mit dem Monheimer Tor hier noch ein Einkaufscenter hinsetzen, ist doch unnötig“, sagt die Seniorin, die ihren Namen nicht nennen möchte.
Ihr Mann sei ohnehin der Meinung, dass „das Jüngelchen im Rathaus“ zu Fehlentscheidungen neige. Sie selbst finde den Bürgermeister sehr sympathisch, er sei bürgernah. „Aber das binde ich meinem Mann nicht auf die Nase“, sagt sie und lacht. „Wir warten darauf, dass die Krischerstraße umgestaltet wird. Vielleicht können wir dann auch bald mal in einem Café auf der Terrasse sitzen. Das fehlt bisher völlig.“
Vor der Absperrung hält ein Auto mit Wuppertaler Kennzeichen. Verdutzt schaut der Mann durch die Windschutzscheibe und greift zu seinem Handy. Als er die Männer des Ordnungsamts in seine Richtung gehen sieht, startet er den Motor.
Helene Kasemann sitzt noch immer allein am Tisch. 60 Minuten sind vergangen, ihre Schwiegertochter ist immer noch nicht aufgetaucht. „Sie kommt aus Düsseldorf und muss ihr Auto noch ummelden“, sagt sie mit einem zerknirschten Lächeln. Dann räumt sie ihren Platz. Sie will zu dem Schreibwarenladen an der Krischerstraße, für die Enkelin ein kleines Geschenk suchen.
„Ich gehe sehr gerne dort entlang. Da habe ich alles, was ich brauche.“ Und am besten bleibe auch alles so wie es ist. „Wenn dort auch noch gebaut wird, ist Monheim bald eine einzige Baustelle. Den neuen Stadtkern erlebe ich sicherlich nicht mehr.“