"Das düstere Geheimnis meiner Familie"

Die Monheimerin Helga Panitzky hat einen Teil ihres Lebens als Grundlage für einen aufwühlenden Roman genutzt.

Monheim. Eigentlich dachte ihre Mutter, dass Helga bei den Nachbarn spielte, denn sie hatte sie fortgeschickt, wohl wissend, dass gleich etwas passieren würde, was die Kleine nicht mit ansehen sollte. Doch die Fünfjährige blieb nicht bei den Nachbarn, sondern rannte, von einem unguten Bauchgefühl getrieben, nach Hause und spähte durch ein Fenster. Was sie sah, vergaß sie nie: Der geliebte Vater, in Handschellen auf dem Sofa, flankiert von zwei Beamten der Gestapo.

„Von da an weiß ich nichts mehr“, sagt Helga Panitzky, die jetzt 68 Jahre später im gemütlichen Wohnzimmer in ihrem Haus im Musikantenviertel mit ihrem Mann beim Kaffee sitzt und über ihr aktuelles Buch spricht. Heute ist sie 73 Jahre alt.

„Sie nahmen mir meinen Vater“, heißt ihre Autobiographie, die gerade erschienen ist. Es ist die Biographie eines Kriegskindes. Sie zeigt die Angst des Hitlerregimes, das gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Mühe hatte, die eigene Bevölkerung noch an einen Sieg glauben zu lassen.

Johann Brose war so jemand, der einfach nicht mehr daran glauben konnte — und damit hielt Panitzkys Vater nicht hinterm Berg. „Wir werden den Krieg verlieren“, sagte er zu einer Nachbarin. Und als die Nachricht kam, dass sein Schwager gefallen war, deutete er wütend auf ein Hitlerbild und rief: „Schmeißt den von der Wand. Der hat schon so viele Menschen aufgefressen.“ Für die Hitler-treuen Nachbarn und Schwiegereltern war dieses Gerede eine Katastrophe. Für seine Ehefrau einfach nur peinlich. „Meine Eltern haben sich schon zu der Zeit gehasst. Die Ehe war zerrüttet. Der einfachste Weg, um meinen Vater los zu werden, war die Anzeige“, sagt Panitzky und blättert in ihrem Buch, in dem sie auch einige Dokumente über die Verhaftung abgedruckt hat.

Vor zehn Jahren bereits forderte sie diese Dokumente vom Bundesarchiv in Berlin an, um herauszufinden, warum ihr Vater tatsächlich zum Tode verurteilt wurde. „Meine Mutter hat mir ihr Leben lang nichts gesagt. Als der Krieg vorbei war, hat sie uns Kindern nur eingebläut: ,Wenn ihr etwas sagt, dann komme ich ins Gefängnis und ihr ins Heim.’ Wir haben nie darüber geredet.“

Nach der Verhaftung des Vaters musste der ältere Bruder in die Hitlerjugend. Als Kind eines Kriegsverbrechers wurde er dort bis aufs Blut drangsaliert. Im Januar 1945 floh die Familie dann gen Westen, die Rote Arme auf den Fersen. Sie schafften es, sich auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein in Sicherheit zu bringen.

In Panitzkys Roman beginnt nun der heitere Teil: Die 1950er-Jahre, die den Teenager prägten. Doch die Gedanken an die Verhaftung des Vaters und den Hass der Mutter konnten auch die erste Bravo, die Skandalfilme von Oswalt Kolle und die erste Nylonstrumpfhose nicht verdrängen.Mit Anfang 20 kam der Zusammenbruch. „Ich war schlimm krank und merkte, dass ich die traumatischen Ereignisse in der Kindheit nicht verarbeitet hatte.“Das sagte ihr Jahre später auch ein Psychologe. „Schreiben Sie alles auf, machen Sie ein Buch daraus“, riet er.

Der Roman ist das Ergebnis. Auf 284 Seiten erzählt Panitzky aus ihrem Leben. 41 Bilder und 13 Dokumentenkopien ergänzen das Werk, das „zum Nachdenken und zur Mahnung“ anregen soll.