„Frauen sollten selbst entscheiden, was sie anziehen.“
Shida Bazyar, Trägerin des diesjährigen Ulla-Hahn-Autorenpreises, über Heimat, Fremde und Kulturen.
Waren Sie schon mal in Monheim am Rhein?
Shida Bazyar: Nein, noch nie! Dabei bin ich knapp 200 Kilometer südlich von Monheim geboren und aufgewachsen und habe eine Weile knapp 50 Kilometer nördlich von Monheim gelebt.
Spätestens bei der Entgegennahme des Ulla-Hahn-Preises werden Sie die Stadt ja kennenlernen — und sich womöglich wundern, wie viele Frauen hier stellenweise Kopftuch tragen. Beunruhigt Sie die zunehmende Verbreitung dieses Kleidungsstücks in Deutschland?
Bazyar: Mir geht es mit Kopftüchern wie mit Piercings oder mit Hotpants: Ich registriere sie gar nicht als etwas Ungewöhnliches, sondern sehe sie als gewöhnlichen Teil des Straßenbildes. Sie fallen mir erst auf, wenn sie, wie aktuell, zum Gegenstand einer Debatte werden, die in der Regel nicht von den Menschen geführt wird, die davon betroffen sind. Die aktuelle „Burka-Debatte“ und die Hotpants-Debatte aus dem vorigen Sommer haben die erschreckende Gemeinsamkeit, dass in beiden Fällen Frauen von außen geraten wird, was sie zu tragen haben, ohne darauf zu trauen, dass sie eigene Entscheidungen treffen können, beziehungsweise sie in diesen zu unterstützen.
Sind Verbote ratsam?
Bazyar: Wenn es darum geht, Frauen in ihrer Emanzipation zu unterstützen, dann kann das nicht mit Verboten vonstatten gehen. Das ist ein Widerspruch in sich. Bei der aktuellen Debatte geht es gar nicht um die Selbstbestimmung von Frauen. Kopftücher werden dazu instrumentalisiert, die eigene Hilflosigkeit bei ständiger Terrorangst zu beruhigen. Wir sind ängstlich und in Gefahr. Und können nichts dagegen tun. Das hat aber nichts mit Kopftüchern zu tun. Einschränkungen in Religionsfreiheit und in Bezug auf die eigene Selbstbestimmung sind in meinen Augen ein alarmierendes Signal für einen offensichtlichen Rechtsruck. Stattdessen könnte man ganz andere gesellschaftliche Fragen angehen, die die eigene Sicherheit fördern. Wie etwa die Diskussion, warum sich junge Menschen radikalisieren, wieso ausgerechnet der Islam für sie attraktiv erscheint, wie eine Radikalisierung erkannt werden kann, wie Nachbarschaften selbst Zivilcourage gegen bestimmte Vorzeichen zeigen könnten. Und wie man Frauen unterstützen kann, die sich das Tragen des Kopftuches nicht selbst ausgesucht haben.
Ihre Eltern widersetzten sich sowohl dem Schah-Regime als auch den Ajatollahs. 1987 flohen sie nach Deutschland. Gibt es zwischen den beiden und Ihnen, die Sie 1988 in Deutschland geboren wurden, Unterschiede in der Sicht auf den islamischen Fundamentalismus?
Bazyar: Bei all den Unterschieden, die meine Eltern und ich haben, sind wir uns in grundlegenden, elementaren Dingen meistens einig. Eine davon ist: Wenn Menschen unterdrückt werden, wenn ihnen ihre Meinungsfreiheit geraubt, wenn gefoltert und getötet wird und eine Gesellschaft unter einer Propagandamaschinerie leben muss, dann tut es wenig zur Sache, ob der Grund dafür eine Monarchie, eine Religion oder eine politische Ideologie ist. Aus diesem Grund vielleicht ist es bei uns zu Hause selten ein Thema gewesen, dass das Regime, welches meine Eltern verfolgt und ihre Freunde umgebracht hat, ein islamisches war. Es war und ist in allererster Linie ein grauenhaftes, menschenverachtendes Regime, das meine Familie traumatisiert hat.
In Ihrem preisgekrönten Roman „Nachts ist es leise in Teheran“ verarbeiten Sie auch Ihre eigene Familiengeschichte. In dem Roman kümmert sich ein freundliches ökolinkes Paar — sie heißt übrigens Ulla — um die aus dem Iran geflohene Familie. Treffen da zwei Welten aufeinander?
Bazyar: Ich glaube, dass sich diese beiden Paare, die da aufeinandertreffen, sehr ähnlich sind. Sie sind auf ihre Art patriarchal geprägt, sie positionieren sich politisch, sind gebildet und verbringen in erster Linie gerne Zeit miteinander. Aus diesem Grund sind sie ja befreundet. Auf der anderen Seite können sie jedoch aufgrund ihrer unterschiedlichen Biographien und Erfahrungen manchmal über einander nur den Kopf schütteln. Haltungen und Prioritäten wirken aus den Augen des Gegenübers oft allzu absurd. Mir war es jedoch wichtig, dass trotzdem keine Wertung vorgenommen wird. Lesende nehmen Ulla aus der Sicht Nahids, einer kürzlich geflüchteten Frau, wahr. Da geht es für deutsche, nicht-geflüchtete Lesende mehr um den Perspektivwechsel, hoffe ich, weniger um eine Verurteilung von Ullas 80er-Jahre-Frauenaktivismus.