Hilden: Spurensuche führte ins Konzentrationslager

CDU-Ratsherr Stephan Lipski will das Schicksal von vier Mitgliedern seiner Familie aufklären. Wie starben sie in Auschwitz?

Hilden. Tiefe persönliche Betroffenheit habe er empfunden, sagt Stephan Lipski: "Hinterher im Bus hat jeder nur geschwiegen." Der Besuch im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau im August dieses Jahres hat bei dem 74-Jährigen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei war Lipski nicht das erste Mal in dem Vernichtungslager, in dem die Nationalsozialisten zwischen 1940 und ’45 mehr als eine Million Menschen in den Tod schickten. Doch damals, 1992, war er als "normaler" Besucher dort. Im Sommer 2010 betrat er das ehemalige KZ als Angehöriger.

"Als ich vor einiger Zeit beim Durchstöbern alter Unterlagen war, stockte mir der Atem", sagt Lipski. In Aufzeichnungen im Nachlass seiner 1985 verstorbenen Mutter, einer geborenen Ziegler, stand, dass ein Teil seiner Familie in Auschwitz ihr Leben ließ: sein Großonkel Hugo sowie dessen Söhne Viktor und Georg. Außerdem ein dritter Sohn, Richard, dessen Habseligkeiten später den Angehörigen ausgehändigt wurden.

"Ich wollte wissen, ob sie im Arbeitslager starben, oder bereits unmittelbar nach ihrer Einlieferung vergast wurden", sagt der Hildener über die Hintergründe seiner Ahnenforschung. "Andererseits war mein Interesse als Historiker geweckt", fährt er fort. Lipski war 40 Jahre lang Lehrer am Düsseldorfer Humboldt-Gymnasium und unterrichtete Geschichte und Englisch.

Kurzerhand schlossen sich er und Ehefrau Brunhild (71) einer Langenfelder Reisegruppe an. Zunächst ging es rein touristisch in die alte Heimat nach Gostynin, Dort wurde Lipski 1942 eingeschult. Lipski ist gebürtiger Pole. "Meine Vorfahren waren Glaubensflüchtlinge. Sie kamen 1732 nach Polen und gehörten dort zur deutschen Minderheit" - ein Umstand, der einem Teil der Familie 200 Jahre später zum Verhängnis werden sollte.

Von Gostynin aus fuhr die Gruppe nach Auschwitz. "Es war beklemmend daran zu denken, dass Leute aus unserer Familie dort gestorben sind", sagt der 74-Jährige. Er hatte gehofft, eine Spur seiner Familie zu entdecken - ohne Erfolg. Doch Lipski gibt nicht auf. Er setzt auf den Bürokratismus der Nazis. "Die haben damals alles aufgezeichnet", weiß der Historiker. Deshalb hat er in Auschwitz einen Fragebogen für Angehörige ausgefüllt und wartet nun auf Antwort: "Ich bin sicher, dass die Hintergründe ihres Todes herausgefunden werden."

Was Lipski aus dem Nachlass seiner Mutter definitiv weiß, ist, dass Hugo Ziegler und seine Söhne sich geweigert hatten, sich in die "Deutsche Volksliste" einzutragen. "Schließlich waren sie polnische Staatsbürger", sagt Lipski. "Und weil sie den Juden freundlich gesinnt waren", fügt er hinzu. "Das war alles, was es zur Deportation brauchte."

Dann stieß Lipski doch noch auf wichtige Details über das Schicksal seiner Verwandten - in einem Buch von Maria Zieglers Bruder Eduard. Der war 1954 in die USA ausgewandert und hatte 1962 das Buch über die Geschichte seiner Familie veröffentlicht: "Die Heimatvertriebenen". Das Buch fiel Lipski beim Stöbern ebenfalls in die Finger. "Mein Onkel Eduard starb 1967", sagt er. "Wir hatten nie richtigen Kontakt, er lebte ja in Übersee."

Durch seinen ihm unbekannten Onkel erfuhr Lipski beispielsweise, dass die Nazis den Deutsch-Polen acht Tage Zeit ließen, um sich in die Volksliste einzutragen. "Wird der Nachweis nicht erbracht, so ist der Betreffende in Schutzhaft zu nehmen und seine Überführung in ein Konzentrationslager zu veranlassen", lautete die offizielle Anordnung. "Ich frage mich immer wieder, ob meinen Angehörigen klar war, was das bedeutete?" sagt Lipski. "Ob sie sich in die Volksliste eingetragen hätten, wenn sie gewusst hätten, was ihnen bevorsteht?" Eine Antwort auf diese Frage wird Lipski wohl nie erhalten. Die haben Hugo, Viktor, Georg und Richard Ziegler mit in den Tod genommen.