Monheim Northdocks Virtuell üben, um echtes Feuer zu löschen
Monheim. · Northdocks entwickelt Trainingseinheiten am Computer für Feuerwehren, etwa für Einsätze in Chemieanlagen.
Die aktuelle Pandemie lehrt: Der Mensch kann sich nicht auf alle Katastrophen vorbereiten. Das gilt auch insbesondere für die Werksfeuerwehren der großen Chemiekonzerne, die in der analogen Welt selten Störfälle größeren Ausmaßes simulieren können – etwa den Brand in einer chemischen Anlage bei laufendem Betrieb. Aber so wie jedermann in der Welt der Computerspiele zum Helden werden kann, können auch Feuerwehrleute durch virtuelle Trainingseinheiten in die Lage versetzt werden, jedes Szenario einzeln oder im Team einzuüben oder etwa neue Werkzeuge auszuprobieren – und zwar direkt in der dafür vorgesehenen Situation - ohne jegliches Verletzungsrisiko.
Das Monheimer Unternehmen Northdocks entwickelt solche virtuellen Übungen für Feuerwehren. Ein Beispiel: Die Beurteilung der Lage und die Benutzung des Stahlrohrs soll bei einem Innenangriff in einem chemischen Werk geübt werden. Der Feuerwehrmann befindet sich in einem Kontrollraum, in den aus der Umgebung durch Türen und Fenster Flammen eindringen, die schnell auf Bedienpulte und Bürostühle übergreifen. Im Vordergrund das Mundstück des Strahlrohrs, aus dem Wasser in Richtung der Flammen schießt, von der Wucht des virtuellen Strahls wird gar ein Bürostuhl über den Boden geschleudert. Plötzlich bekommt die große Glasscheibe zu den Produktionsanlagen Risse, birst und eine Feuerwalze stürzte auf den Betrachter zu. „Bei einem Flashover müsste der Feuerwehrmann eigentlich das Rohr nach oben richten und sich einnässen und sich dann zurückziehen“, sagt Patrick Reschke, Geschäftsführer von Northdocks. „Wer jetzt stehenbleibt und weiterlöscht, wird im realen Leben gegrillt.“
Um für die Werksfeuerwehren eine wirklichkeitsnahe Trainingsumgebung zu schaffen, muss die reale Welt erst einmal digitalisiert werden. Deshalb hat Northdocks den Chempark Leverkusen mit Drohnen und Hubschraubern beflogen und aus den Aufnahmen ein 3D-Modell für einen digitalen Zwilling angefertigt. „Wenn man hier den Störfall ,ein Produkt tritt aus‘ als Planspiel simulieren will, fliegt man einfach hin und guckt nach, welche Stoffe in benachbarten Anlagen produziert werden, um eine unheilvolle Reaktion zu verhindern“, so Reschke.
Anhand von Simulationen werden Rettungseinsätze geplant
Das Unternehmen kann anhand von Konstruktionsplänen auch Gebäude visualisieren, die es noch gar nicht gibt, wie einen Wasserturm auf dem Henkel-Gelände. „Die Feuerwehren können so schon mal Löschangriffe und Rettungsmaßnahmen planen“, so Reschke.
Auch technische Anlagen können mit all ihren Funktionen digital nachgebildet werden. Anhand von Trainingsimulationen, die auf diese Anlagen zugeschnitten sind, können Auszubildende so Handgriffe und Arbeitsschritte einüben, die bei fehlerhafter Ausführung immense Schäden anrichten würden oder die schlicht den Produktionsablauf stören würden.
Wie die Wartung der Sprinkleranlage im Hochregallager von Henkel oder die Bedienung der Ethanol-Rektifikationsanlage bei Currenta. „Bevor der Azubi die reale Anlage betritt, hat er gelernt, die Handgriffe mit einer gewissen Routine auszuführen, da er diese im Training beliebig oft wiederholen kann“, sagt Reschke. Weil sein Team insofern den Ausbilder ersetzt, müssen die Mitarbeiter, die die Software entwickeln, diese Fähigkeit erst einmal selbst erwerben und dafür auch tief in die Konstruktion der Apparaturen einsteigen, um diese dann in Algorithmen übersetzen zu können.
Die Möglichkeit, per Headset in die virtuelle Arbeitswelt einzutauchen, entspreche auch einfach dem Freizeitverhalten vieler junger Männer, so Reschke. So setzt beispielsweise eine Übungseinheit zur Herzdruckmassage, die Northdocks gemeinsam mit der Björn Steiger Stiftung entwickelt hat, auf Belohnung. Während der Ersthelfer mit beiden Händen auf den Brustkorb der Übungspuppe drückt, zeigt ein Regler die Druckfrequenz und -tiefe an und gibt Noten. „Das Punktesystem kommt direkt aus dem Gaming und nutzt den Wettbewerbsgedanken“, so Reschke, der sich selbst in den 90erJahren in der Gamer-Szene tummelte.
Die Erstellung georeferenzierter 3D Modelle von Gebäuden wird auch zunehmend in der Denkmalpflege eingesetzt. Sie ersetzen den teuren Gerüstbau, wenn es darum geht, die Sanierungsbedürftigkeit von Fassaden und Dächern zu erkunden. Auf diese Weise hat Reschkes Team den Dom zu Halberstadt virtuell entstehen lassen. Auch die Stadt Monheim existiert bereits als 3D-Modell.