Bibliothek auf dem Prüfstand
Der Plan, die Bücherei in West am Vormittag zu schließen, stößt bei Politikern auf Unmut. Zudem kommen regelmäßig Kinder und Jugendliche in die Bücherei, die dort lernen, weil sie zu Hause keine Ruhe oder keinen eigenen Schreibtisch haben.
Ratingen. Dass der Vorschlag, die Stadtteilbüchereien künftig aus Kostengründen vormittags zu schließen, keine Begeisterungsstürme hervorrufen würde, war absehbar. Dass dieses Vorhaben trotz anerkannten Sparzwangs so einhellig abgelehnt wurde, mag dann doch den einen oder anderen in der Verwaltungsspitze überrascht haben.
Im Kulturausschuss gab es fraktionsübergreifend eine breite Front gegen die Schließungspläne am Vormittag. Dass die Ausweisgebühren angehoben werden sollen, nickte man noch ab: Damit sollte es an Maßnahmen auch genug sein.
„Es geht hier nur um Einsparungen, nicht um Inhalte“, sagte der Kulturdezernent Dirk Tratzig, der über die heftigen Reaktionen nicht verwundert ist. Doch auch er müsse die Vorgabe erfüllen, rund zehn Prozent Kosten zu reduzieren. „In einer Bücherei hat man dafür nicht viele Stellschrauben: weniger Bücher, kürzere Öffnungszeit, höhere Gebühren.“
Da eine Bücherei ohne aktuelle Bücher und Medien sich quasi selbst in Frage stellt, blieben nur Öffnungszeiten und Gebühren als Maßnahmen. Das Argument, vormittags gehe eh kaum jemand in die Büchereien, sticht aber nicht.
Die Besucherzahlen seien nur etwas geringer als nachmittags, führte Tratzig aus. Eine statistische Erhebung gebe es nicht. Erfasst werden lediglich Ausleihen, nicht Besucher. Jene Nutzer, die nur zum Stöbern und Lesen kommen, werden gar nicht gezählt.
Besonders betroffen von der Vormittagsschließung wäre die Zweigstelle in Ratingen West. Sie hat neun Stunden in der Woche geöffnet, die Stadtteilbüchereien in Lintorf, Homberg und Hösel dagegen nur drei, beziehungsweise zwei Stunden. Die Bücherei in West, deren 25-jähriges Jubiläum vor zwei Jahren groß gefeiert und deren soziale Bedeutung in den höchsten Tönen gelobt wurde, gilt als einzige Kultureinrichtung im Stadtteil und als wichtiger Treffpunkt — vor allem für Kindergärten und Schulen.
Büchereileiterin Constanze Armbrust-Jakobs weiß aus ihrem Alltag, dass die Leute nicht nur herkommen, um sich etwas auszuleihen. Auch Kindergärten und Grundschulen kommen gruppen- und klassenweise in die Bücherei und erfüllen damit zugleich einen wichtigen pädagogischen Anspruch: Kinder — besonders aus bildungsfernen Schichten — an das Medium Buch heranzuführen.
Zudem kommen regelmäßig Kinder und Jugendliche in die Bücherei, die dort lernen, weil sie zu Hause keine Ruhe oder keinen eigenen Schreibtisch haben. Und in den Ferien hat sich die Zweigstelle schon vormittags zum beliebten Treff entwickelt, wie die steigenden Zahlen beim Sommer-Leseclub belegen.
Darüber hinaus leistet die Bücherei einen wichtigen Beitrag zur Integration: Das Regal mit russischsprachige Literatur erfreut sich größter Beliebtheit. Auch die russische Tageszeitung wird gerne schon am Vormittag gelesen.