Besucher staunen über gigantische Ausmaße
Im Steinbruch Flandersbach ist alles eine Nummer größer. Der Muldenkipper hat 1000 PS.
Wülfrath. Sicherheit geht vor im größten Kalkwerk Europas. Deshalb werden die Teilnehmer der Besuchergruppe gestern Vormittag im Paul-Ludowigs-Haus zunächst mit Helm, gelber Warnweste und Schutzbrille ausgestattet. Immerhin steuert der Bus mit der 35-köpfigen Gruppe gleich in den riesigen Steinbruch Flandersbach, der 230 Meter in die Tiefe reicht. Und es werden unterwegs gewaltige Maschinen vorbeifahren. Die Muldenkipper, „Skw“ genannt, wiegen gut 100 Tonnen, sind sechs Meter hoch und 1000 PS stark.
Normalerweise sind die Kalkwerke Wülfrath für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, doch für eine Gruppe Schulkinder der zweiten bis sechsten Klasse, begleitet von Eltern und Großeltern, machte das Unternehmen Lhoist Germany jetzt eine Ausnahme. Die freudige Spannung ist beim Einstieg in den Bus spürbar. „Vor 63 Millionen Jahren sind die Dinosaurier ausgestorben. Der Kalkstein, der hier abgebaut wird, ist vor circa 370 Millionen Jahren entstanden“, erklärt Bernd Becks. Damals lag das Bergische Land noch auf dem Grund des Ozeans, wo sich die Überreste von Korallen und Muscheln ansammelten. 49 Jahre hat der gelernte Chemiker in den Kalkwerken gearbeitet, gibt sein Wissen nun bei Führungen weiter.
Jetzt passiert der Bus die kleinere, südliche Grube, die bereits wieder aufgefüllt wird. Schon hier bietet sich ein imposanter Blick. Ein riesiger Krater, umsäumt von einer Hügellandschaft. Rampen umschlängeln die Hänge sowie Wirtschaftswege — und im Tal ein überdachtes Förderband. Täglich werden zwischen 20 000 und 30 000 Tonnen Kalkgestein gefördert.
Immer tiefer fährt der Bus in den Tagebau hinein, muss zwei voll beladene Muldenkipper passieren lassen — gegen die der Bus geradezu zierlich wirkt. Auf einem Plateau am Südhang des Steinbruchs Flandersbach stoppt der Bus. Die Exkursionsteilnehmer steigen aus, erleben ein beeindruckendes Panorama. Über 200 Meter steile Wände, unterteilt in 20 Meter hohe Sohlen, nahezu einen Kilometer im Durchmesser. Von hier aus ist eine Sprengung zu hören. Jedoch ist nicht zu erkennen, wie bis zu 15 Tonnen Gestein wie eine Lawine zu Boden rutschen. Diesmal wird auf der tiefsten Sohle gesprengt, nicht einzusehen von der Sicherheitsposition der Besucher aus. Gleichwohl erschallt ein dumpfer Knall, eine 50 Meter hohe Rauchwolke schießt wie eine Wasserfontäne in die Höhe. Nach den Regenfällen der vergangenen Tage musste dieses Mal im Wasser gesprengt werden.
Der Besichtigungsparcours führt am neuen Steinbruch Silberberg vorbei zur Verarbeitungsanlage. Die gewaltigen Schachtöfen können pro Tag bis zu 3000 Tonnen Brandkalk erzeugen. Drehöfen, die bis zu 1200 Grad Celsius heiß werden, erzeugen auf Voll-Last täglich nochmals 4800 Tonnen Kalk. Der Bus hält zum Abschluss am ausgedienten Steinbruch Prangenhaus, der als Sedimentationsbecken dient. Am Ufer stehen Kormorane. In Bäumen am Hang brütet der Uhu.
Werksleiter Thomas Perterer sagt: „Wir haben noch 20 Jahre Kalkstein-Abbaureserven und arbeiten intensiv daran, die Laufzeit von Flandersbach zumindest für die nächsten 50 Jahre sicherzustellen.“ Dann wäre die unterste Sohle der Grube, in der die Exkursionsteilnehmer gestern die Sprengung erlebten, noch 100 Meter tiefer.