Gesamtschüler testen Zivilcourage

Die Jugendlichen von der Bleibergquelle wollten wissen, ob jemand bei Mobbing auf offener Straße einschreitet. Das passierte jedoch selten.

Neviges. Von einem auf dem anderen Moment lädt sich die Stimmung in der Nevigeser Fußgängerzone auf. Zwei Gruppen Jugendlicher treffen aufeinander und tauschen im Vorbeigehen rassistische Beleidigungen aus. Sofort entwickelt sich eine Rangelei. Einige Leute gucken interessiert, andere erschrocken — keiner greift ein. Zum Glück handelt es sich bei der Szene nur um ein Live-Schauspiel der Gesamtschule Bleibergquelle, die gestern die Zivilcourage in Neviges getestet hat.

Die Idee zu der Aktion hatte Theater-Pädagogin Daniela Posada-Bangert, die gestern mit 45 Schülern an unterschiedlichen Stellen zwischen Busbahnhof und Sparkasse für Aufsehen bei den Passanten sorgte. „Das Konzept ist nicht von mir. Das ,Theater der Unterdrückten’ geht zurück auf Auguste Boal“, erläutert die Lehrerin.

Foto: simba

Der Ablauf in Neviges war immer derselbe: Erst spielen die Schüler ihre Alltagsszene, die im Verlauf eskaliert, dann lässt Posada-Bangert ein Signal ertönen und alle Beteiligten sacken daraufhin zu Boden. Erst jetzt merken die Passanten, dass alles nur gespielt war. Sofort schwärmt eine weitere Gruppe aus und befragt die Zeugen, was sie gedacht haben und ob sie in so einem Fall eingreifen würden.

Boran Said-Durna (13) hat die Erfahrung gemacht: „Die meisten helfen nicht, weil sie Angst haben.“ Posada-Bangert hat das ebenfalls beobachtet: „Und dass, obwohl die Kinder ja noch so jung sind.“ Eine Ladeninhaberin habe hinterher angegeben, sie sei kurz davor gewesen, die Polizei zu rufen. Selbst wollte sie aber nicht dazwischen gehen, denn sie habe sich darum gesorgt, dass andere Kinder in der Zeit den Laden stürmen, um dort zu klauen.

Selbst als die 16-jährige Rollstuhlfahrerin Julia Gabrysiak — die laut Daniela Posada-Bangert darauf bestanden hatte, diese intensive Szene mitzuspielen — von anderen Jugendlichen auf den Boden geschubst wird, greift niemand ein. Eine Frau ruft anderen Zeugen zu, dass man doch eingreifen müsse — und geht selber weiter.

Jedoch nicht immer blieben die Angriffe folgenlos. Bei einer fingierten Prügelei in der Fußgängerzone ging ein Mann ganz spontan dazwischen. Die Theater-Pädagogin stellt fest: „Ich glaube, ich persönlich könnte gar nicht so schnell umschalten.“

Auch am Busbahnhof sorgen die Bleibergquelle-Schüler für Aufsehen, als Marcia Kortsali (11), Aysima Ünal (12), Hatice Manyas (12), Elleni Kortsali (14) und Nurseda Arabaci (13) eine Szene darstellen, bei der einem Mädchen die Schulsachen entrissen und auf der Straße verteilt werden. Bürgerin Yvonne Klebsch (24) geht auf die Kindergruppe zu, als das Signal ertönt. „Jetzt hätte ich eingegriffen. Ich bin auch Mutter und das war nicht in Ordnung“, sagt die couragierte Frau.

Den Akteuren macht das Projekt, für das sich die Schule extra eine Genehmigung beim Ordnungsamt einholen musste, sichtlich Spaß. Daniela Posada-Bangert weiß, warum: „Das ist ihr Leben. Das sind Szenen, die viele Schüler schon einmal erlebt haben.“ So kommt es nicht von ungefähr, dass etwa der 13-jährige Boran in seiner Szene beschimpft wird, weil er Ausländer ist. „Ja, das ist mir so schon passiert“, berichtet er. Die Pädagogin sagt: „Das wird gespielt, ohne dass jemand lacht. So können die Kinder sich in einem geschützten Rahmen mit Mobbing auseinandersetzen.“ Am Ende profitierten daher von der Aktion die Schüler und die Passanten gleichermaßen, die durch die Vorführungen zum Nachdenken angeregt wurde.