Gute Noten gibt’s ab 30 Euro
Carina Matyssek ist nach einem Jahr als Austauschschülerin in Peking zurückgekehrt. Kurz vor ihrem Abflug gab es auch im Reich der Mitte Zeugnisse. Letzter Teil der Serie.
Ratingen/Peking. Gerade mal zwei Wochen ist es her, da war das ganze Land in Aufruhr: Vor allen Oberstufenschulen in China versammelten sich hunderte von Eltern. Drinnen schrieben ihre Kinder den wichtigsten Test ihres Lebens. Der "große Test", wie die Chinesen das Abitur nennen, wird überall im Land gleichzeitig geschrieben.
Schon einen Monat vorher wurde im Fernsehen jeden Tag darüber gesprochen, wie sich die Schüler am besten vorbereiten können. Selbst seriöse Nachrichtensprecher verkündeten, dass die Abiturienten am Besten keinen Kaffee mehr trinken sollten, weil sie sich sonst nicht entspannen könnten oder gaben Tipps, welche nährstoffreichen Dinge sie gut in Form bringen.
Und als dann der große Tag da war, pilgerten tausende Schüler kreuz und quer durch Peking. Denn keiner sollte mit seinen Freunden zusammen schreiben, also wurden alle an verschiedene Schulen geschickt. Die beiden Kameras, die grundsätzlich in jedem Klassenzimmer installiert sind, wurden eingeschaltet und zusätzlich zwei Lehrer in jedem Raum postiert. Vor den Schulen passten Polizisten auf, dass niemand Unbefugtes hineinkam.
China ist ein ziemlich zwiespältiges Land, denn auch wenn Ausbildung und Schule hier einen unheimlich hohen Stellenwert haben, es gibt nicht wenige erfolgreiche Leute, die nicht einmal die chinesische Oberstufe besucht haben.
Ich war ziemlich betroffen, als mir Jack Zhang, ein Pekinger, der in Großbritannien studierte, von seiner Karriere erzählte. Er müsse doch einen guten Job haben, sagte ich, da er doch im Ausland studiert habe. Aber weit gefehlt. "Ich kenne doch niemanden. In der Uni knüpfst du all die Kontakte, die du in deiner Karriere brauchst und wenn dein Vater nicht erfolgreich ist und diese Kontakte an dich ,vererbt’, bist du ziemlich einsam."
Wer nicht so extrovertiert ist oder Probleme hat, Kontakte zu knüpfen, wer zu allem Überfluss auch noch kein Überflieger in der Schule war, der hat noch eine andere Möglichkeit, an eine gute Ausbildung zu kommen. 300Yuan, etwa 30 Euro, kostet nämlich das gefälschte Abschlusszeugnis in einer normalen Schule - bessere Schulen verlangen natürlich mehr.
Ich habe lange mit meinem chinesischen Gastvater darüber gesprochen. Er schämt sich für diese Landsleute: "Es gibt so viele tolle Menschen, denen es nie einfallen würde, etwas unrechtmäßig zu erwerben. Trotzdem musst du vorsichtig sein, wem du was glaubst." Meine Gasteltern sind sehr vorsichtig Fremden gegenüber. Sie haben schon schlechte Erfahrungen gemacht. Zwei Mal hatten sie schon Anrufe von vermeintlichen Entführern, die Geld erpressen wollten. "Die erzählen dir, wie deine gesamte Familie heißt."
Über das Fälschertum, das sich immer weiter verbreitet, erzählen sich die Chinesen traurige Witze. Am treffendsten finde ich den von dem Bauern, der alles verlor, als er sein Pferd gegen gefälschtes Getreide verkaufte. Da wollte er sich mit Gift umbringen - doch auch das war gefälscht. Erst als er mit seiner Familie feiert, dass er überlebt hat, fällt er plötzlich doch noch tot um. Denn die Flasche Wodka, mit der sie anstoßen, ist auch gefälscht.
Die meisten Chinesen sind aber ehrlich. Meistens sind sie sogar rührend wohlwollend und bemüht. Da tat es mir manches mal leid, dass sie kein Trinkgeld annehmen.