Neviges: Die Geschichte hinter dem Bild
Historie: Die alte Postkarte vom katholischen Kirchplatz stieß auf großes Interesse. Historiker Gerhard Haun erklärt Gebäude und Veränderungen.
Neviges. Rund 300 Postkarten mit Motiven des Wallfahrtsortes hat Werner de Bortoli zusammengetragen. In ihnen spiegeln sich gut 100 Jahre Stadtentwicklung, schrieben wir am 7. August in einem Bericht - und illustrierten dies mit der Reproduktion einer von de Bortolis Karten, die den katholischen Kirchplatz um 1900 zeigt.
Zahlreiche Nachfragen gaben Anlass, diese Ansicht noch einmal genauer zu betrachten. Mit Hilfe des Nevigeser Lokalhistorikers Gerhard Haun erzählt die Postkarte nun noch eine ganz eigene Geschichte.
Man muss heute schon genau hinschauen, um den Platz wiederzuerkennen: Ganz links am Bildrand befindet sich im Schatten liegend die Ecke des Klosters - dort ist heute die Pforte. Quer im Hintergrund liegt die ehemalige Schule: "Im Juli 1933 hat dort der damalige Wallfahrtsleiter, Pater Gabriel Schmidt, ein Franziskaner-Missions-Museum eingerichtet", erläutert Haun. Man wollte den Pilgern, die den ganzen Tag von der morgendlichen Messe bis zur Andacht am Abend in Neviges blieben, etwas anbieten, um die freie Zeit füllen.
Das Museum, das schon in den ersten Monaten knapp 15 000 Besucher hatte, zeigte Kultur- und Kultgegenstände aus den Missionsgebieten in China, Japan und Südamerika, dazu Mineralien, Früchte und sogar präparierte Tiere. Das Gebäude wurde Anfang der 1960er-Jahre im Zuge des Dombaus abgerissen, heute steht an seiner Stelle das Pilgerhaus "La Verna".
Viel früher, nämlich noch vor dem ersten Weltkrieg wurden die beiden Wohnhäuser in der Bildmitte abgebrochen: Die Franziskaner hatten das vordere Haus "Im weißen Pferd" wie auch das dahinter stehende Haus "Im Hirsch" - beide bereits im Urkataster von 1816 verzeichnet - gekauft, nachdem 1904 erstmals der Bau einer neuen, größeren Wallfahrtskirche erwogen wurde.
Rechts neben den Häusern ist der Beginn der Klosterstraße erkennbar, die im Volksmund auch "Kaffeewasserstraße" hieß. Der Name rührte von den Schildern an den Gebäuden, die den Pilgern für wenige Pfennige heißes Wasser verhießen, um das mitgeführte Kaffeepulver aufzubrühen. Auch das Haus am rechten Bildrand wurde schon vor mehr als 100 Jahren durch ein neues Gebäude ersetzt: "Zuvor war das einmal die Nevigeser Apotheke", sagt Haun.
Eine eigene Geschichte hat das Kreuz in der Bildmitte: "Es ist das alte Friedhofskreuz, denn der Kirchplatz war früher Friedhof", erklärt der Nevigeser. Nicht verwunderlich also, dass die Arbeiter auf zahlreiche Knochen stießen, als sie vor einigen Jahren beim Umbau des Platzes Kanäle und Versorgungsleitungen verlegten - laut Haun insgesamt acht oder neun Kisten voll, die anschließend auf dem Friedhof an der Bernsaustraße beigesetzt wurden. Das Kreuz wurde später vor das Museum gesetzt und verschwand mit dessen Abriss. Weil nicht mehr verwendete oder beschädigte Kruzifixe aber nicht einfach fortgeworfen werden, hat es der damalige Guardian des Wallfahrtsklosters, Pater Rufinus Reifenrath, vermutlich begraben - wo, ist bis heute nicht bekannt.