Nordlicht, allein unter Jecken

Es ist ein Experiment: Wie ergeht es einem Norddeutschen auf dem Wagen des Karnevalsausschusses?

<strong>Ratingen. Denen werd ich’s zeigen, denke ich mir morgens noch grimmig: Mir kommt keine Schminke ins Gesicht, keine Kamelle zwischen die Finger und kein Helau über die Lippen. Das einzig Karnevalistische in mir sind die beiden Berliner, die ich gefrühstückt habe. Mitten ins Herz des organisierten Frohsinns werde ich vordringen, das schwarze Schaf in der bunten Narrenherde geben. Wobei - so ganz normal bin ich wohl auch nicht: Draußen sind nasskalte fünf Grad, der Wind pfeift unerbittlich und am Straßenrand liegt Schneematsch. Kein vernünftiger Mensch geht da ohne Not vor die Tür.

Der Zug steht noch in der Startaufstellung, ich eile an einer verblüffend männlichen Frauen-Nationalmannschaft vorbei, an schrillen Phantasiegestalten, saufenden Mönchen und zwei kleinen Teufeln - die Hölle muss ganz in der Nähe sein. Mein Ziel ist der Kopf des Lindwurms, dort steht die hölzerne Lok des Karnevalsausschusses, die den kilometerlangen Zug gewissermaßen ziehen soll.

Der Bärtige mit der giftgrünen Perücke, der mich im Lokführerstand begrüßt, scheint mich irgendwie zu verstehen. Er drückt mir zuerst einen Plastikbecher mit Altbier in die Hand - "zum Aufwärmen" - und zwei Goldmünzen, "als Bestechung". So ist’s recht, Hubertus Brauer.

Plötzlich gibt es einen Ruck, der Wagen rollt an. Als ob jemand einen Hebel umgelegt hätte, schnurrt die ganze Karnevalsmaschinerie an. Die Herren auf der Ladefläche reißen ihre Hände zum "Helau" hoch, Trommelwirbel dröhnt, hinter uns setzt sich das Musikkorps Essen-Rüttenscheid in Gang, vorneweg staksen Narren auf übergroßen Stelzen. Zugegeben, die sind ein kleines Wunder.

Schlagartig ist auch die Menge da, vor allem akustisch: "Helau" schallt es aus allen Richtungen. Es kommt mir vor, als gäbe es plötzlich nur noch dieses eine Wort.

Die sind je nach Werfer aber durchaus unterschiedlich. In der hintersten Reihe stehen drei junge Frauen mit Mickeymaus-Ohren und zwinkern Ernst Lackner zu. Der lässt sich nicht lange bitten, greift tief in den Trog und übt so lange Zielwurf, bis alle Mäuschen mit Schokolade versorgt sind.

Hinter dem Rücken des Karnevalsausschusses hat sich emsige Geschäftigkeit entwickelt. Schließlich muss der Nachschub gesichert werden. Eine Piratin packt Schokoriegel aus, verteilt Modellbau-Lkw und Plastikbälle. Karneval ist nicht nur eine ernste Sache, sondern auch eine schweißtreibende. Es fängt an zu tröpfeln. Das Musikkorps hinter uns spielt "So ein Tag..."

Neben mir steht Petra, die Kollegin von einer anderen Zeitung. Sie hat sich dem Narrenfieber schon ergeben, den Notziblock beiseite gelegt und schleudert die Süßigkeiten ins Volk. "Macht Spaß, willst Du nicht auch mal?" Nein danke, ich schau lieber zu.

Wir nähern uns dem Markt, die Stimmung steigt weiter. Oben sind vergnügte Gesichter in den geöffneten Fenstern zu sehen, am Boden ein ganzer Plüschzoo aus verkleideten Kindern, die ihre Tüten erwartungsvoll hochrecken. Kreuz und quer lachen sich die Menschen an. Völlig grundlos, wie mir scheint. Aber irgendwie ansteckend. "Du lächelst ja", sagt Petra plötzlich. Ich fühle mich ertappt.

Aus dem Tröpfeln wird hartnäckiger Regen. Das Musikkorps stimmt "A lalalala bamba" an. Die haben Nerven. Derweil rutscht unsere Piratin über die nassen Planken, die Kistenberge schmelzen, der Altpapierstapel wächst.

Meine Hand zuckt - ich erschrecke. Beinahe hätte ich ihnen ein lautes "Helau" zugerufen. In letzter Sekunde besinne ich mich meiner Vorsätze - und mache mich erstmal aus dem Staub.