Ratingen 2020: „Mehr kostenlose Kultur, um niemanden auszuschließen“

Der Ratinger Schriftsteller Ulrich Scharfenorth über Kultur-Finanzierung, den demografischen Wandel und die junge Szene.

Was denken Sie, sind die wichtigsten Entwicklungen und Veränderungen, mit denen die hiesige Kulturlandschaft in den kommenden Jahren konfrontiert wird?

Scharfenorth: Zuerst einmal kann man den Bereich "Kultur" nicht losgelöst von anderen sozialen und politischen Entwicklungen betrachten. Daher stellt sich mir vor allem die Frage: Wer hat im Jahr 2020 überhaupt noch Zeit und/oder Geld, um am kulturellen Leben teilzunehmen? Ein Teil der Bevölkerung wird sehr viel intensiver für seinen Lebensunterhalt arbeiten müssen als heute, ein anderer zwei oder drei Minijobs nachjagen und ein dritter arbeitslos sein.

Wie wird sich diese Entwicklung konkret auf den Kulturbetrieb auswirken?

Scharfenort: Das Angebot muss sich verändern. Kostenlose oder zumindest kostengünstige Veranstaltungsangebote müssen in den Vordergrund rücken, sprich: Es wird sehr viel mehr ehrenamtliches Engagement gefordert. Die staatlich subventionierten Kulturbetriebe dürften angesichts knapper gewordener Kassen weiter unter Druck geraten sein. Bereits heute schließen die zum Substanzerhalt notwendigen hohen Eintrittspreise fast 70 Prozent der Bevölkerung von großen Events aus. Das dürfte 2020 noch gravierender sein.

Ihr Literaturkreis "Era" leistet ja genau das von Ihnen angesprochene Engagement. Wird es "Era" denn 2020 noch geben?

Scharfenorth: Und ob. Wir haben noch immer stetigen Zuwachs auch von jungen Autorinnen und Autoren. Die Wirkung der "Era" könnte sich sogar noch weiter ins Bergische Land und an den Niederrhein ausdehnen.

2020 dürfte der Vorstand aber wohl nicht mehr aus Ratingen kommen, sondern aus Wuppertal oder Essen. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass dann die Kulturkneipe mit dem Ratinger "Tragödchen" des Buchcafés Peter & Paula "fusioniert" haben wird.

Der demographische Wechsel wird sicher auch Einfluss auf das kulturelle Leben haben?

Scharfenorth: Natürlich. Der Standort Ratingen muss der Überalterung entgegenwirken, etwa durch die Gründung einer Akademie oder einer Fachhochschule, die junge Menschen hierher bringt.

Was sonst wird sich geändert haben. was bleibt erhalten?

Scharfenorth: Das Jugendzentrum Lux wird bestimmt abgerissen werden, aber ich bin sicher, dass für einen angemessenen Ersatz gesorgt wird. Vielleicht gibt es zusätzlich ein Kulturzentrum im Gebäude des Ostbahnhofes. Am Blauen See könnte man dauerhaft einen Kinderzirkus einrichten oder auch einen richtigen Streichelzoo, also etwa für die Familien. Ich hoffe, dass die ZeltZeit am Grünen See auch 2020 noch Bestand hat.

Was würden Sie sich ganz persönlich wünschen?

Scharfenorth: Toll wäre eine richtig schöne Künstlerkneipe, wo sich die üblichen Verdächtigen auf ein Bier treffen können. Ich würde es begrüßen, wenn bis 2020 eine endgültige Entscheidung zum "Lo(c)kschuppen fallen würde.