Ratingen: Zeugen des Fußball-Wunders erinnern sich

Sechs Ratinger lassen Schüler an ihren Erinnerungen an die Weltmeisterschaft 1954 teilhaben.

Ratingen. Wenn Hans Schuhmacher von dem Spiel erzählt, klingt es so, als hätte er es gestern erst gesehen. An jeden Pass scheint er sich zu erinnern, an die Körperhaltung der Spieler, vergebliche Torschüsse und erfolgreiche. Doch das Spiel ist mehr als 55 Jahre her.

Hans Schuhmacher war selbst im Stadion dabei, als 1954 das "Wunder von Bern" passierte und die Deutschen Fußballweltmeister wurden. Er arbeitete damals als Zimmermann in der Schweiz und war einer von wenigen Deutschen, die sich den Ausflug nach Bern leisten konnten. Etwas kleinlaut stand er zwischen Ungarn und Engländern auf der Tribüne und wurde Augenzeuge der Geschichte.

Ihn und fünf andere Zeitzeugen aus Ratingen haben Zehntklässler des Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gymnasiums ins Stadtarchiv eingeladen, um von ihnen mehr von dem legendären Spiel und dem Leben damals zu erfahren. Die übrigen Fünf erlebten die denkwürdigen Stunden vor dem Fernseher - doch nicht minder intensiv.

Schließlich war schon das Gerät eine Sensation. Heinz Schlepütz war damals Radio- und Fernsehtechniker. "Ich verdiente 300 D-Mark brutto, ein kleiner Fernseher kostete 1350 Mark", erinnert er sich. Also ersteigerte er für 330 Mark einen defekten "Starenkasten" und bewies daran sein Können.

Am 4. Juli 1954 war er einer der ersten Fernsehteilnehmer Ratingens ("Nummer sechs oder sieben") und in seinem Zwölf-Quadratmeter-Zimmer drängelten sich 18 Schaulustige. Für ihn selbst blieb kein Platz. "Mehr ging nicht. Auf einem Stuhl in der Tür saß ein Mann, auf der Lehne noch eine Frau - und als der beim Torjubel aufsprang, flog sie rückwärts in die Diele."

Es sind dramatische Minuten, von denen die Sechs erzählen. "Beim 2:0 dachten wir: Was haben wir uns da nur angetan", sagt Schuhmacher. Als die Deutschen dann unerwartet in Führung gingen, zitterten Millionen mit ihnen bis zum Schlusspfiff.

"Ich habe das Spiel vor einem Schaufenster gesehen, in einer Traube von Menschen, die großen haben mich elfjährigen Pimpf nach vorne geschoben", weiß Gerhard Filges noch, heute 66 Jahre alt.

Helmut Pfeiffer hatte an jenem Tag mit seiner Familie einen Tisch im "Treuen Husar", dem heutigen Brauhaus, reserviert. Nach der Messe ging es dorthin zum Essen, Trinken - und Fußballschauen. "Beim Schlusspfiff sprangen alle auf, das Bier schwappte über die Tische. Später sind wir mit stolzgeschwellter Brust nach Hause gegangen", sagt er. Ratingens Straßen waren voller Menschen, Sonnenschein und guter Stimmung. "Man hat es allen angemerkt, die Leute lächelten sich an."

In den folgenden Tagen waren die Titelseiten der Zeitungen voller Sport, das Land im Freudentaumel. Hans Schuhmacher sieht in dem Spiel sogar die Initialzündung für das Wirtschaftswunder. "Vorher waren die Deutschen doch so klein mit Hut, im Ausland nicht sehr gelitten. Das Spiel hat unheimlich Auftrieb gegeben."

Und in Ratingen wurde noch mehr Fußball gespielt. Aber nicht etwa auf Rasen oder im Verein. Fiege: "Wir spielten auf den Straßen, mit Schweinsblasen oder Lumpenbällen, zwei Pflastersteine als Tor." Mehr war damals für Wunder nicht nötig.