Tänzer Paul Hess: Gefühle in Bewegung
Paul Hess (28) ist Tänzer und Choreograph. Für den Velberter zählt nicht die Show, sondern die Persönlichkeit.
Velbert. Der Klang einer Trompete weht durch das geöffnete Fenster. Die Tonleiter, rauf und runter. Durch die Tür im Erdgeschoss dringt sanfter Soprangesang. Wenige Meter den Flur hinab, in einem lichtdurchfluteten Klostergang, tanzt Paul Hess zwischen Bruchsteinwand und Glasfassade. Barfuß auf dem Steinboden. Er taumelt, wirbelt, schmiegt sich verzweifelt an die Mauer, um im nächsten Moment energisch den Raum zu durchschneiden.
Die Folkwang-Universität in Essen-Werden. Es sind heilige Räume, aber mit familiärem Charakter: „Die Jahrgänge sind klein, und man geht mit den Dozenten auch mal ein Bier trinken“, sagt Paul Hess. Acht Jahre hat der Velberter hier verbracht, Bühnentanz und Choreographie studiert.
Zurzeit ist der 28-Jährige Mitglied des Tanztheaters der Städtischen Bühnen Münster, allerdings nur noch bis August; dann wird die Compagnie aufgelöst. In jungen Jahren lernte Hess zunächst Hiphop am Velberter Tanzhaus Kossmann. „Dann kam ich in die Pubertät und war zu cool, um Tanzen gut zu finden.“
Eine Freundin holte ihn zurück — und zwar aufs Parkett mit Standard- und Lateinkursen der Tanzschule von Schans Küran. Die gefielen ihm so sehr, dass er in den Formationstanz des Tanzsportzentrums (TSZ) Velbert einstieg. Während er sich an der Essener Waldorfschule auf das Abitur vorbereitete, belegte Hess an der Folkwang-Uni erste Seminare, bis er ganz im Folkwang-Kosmos aufging. „Ich habe mich sehr wohlgefühlt, auch wenn es hart war. Um mein Studium zu finanzieren, habe ich alle Deppenjobs durchgemacht, nachts in Bars gearbeitet oder in Restaurants in der Küche gestanden.“
In diesem Beruf muss man flexibel sein und ein breites Kreuz haben — körperlich und im übertragenen Sinn. Der 28-Jährige hat mit Choreographinnen wie Pina Bausch, aber auch mit Breakdancern gearbeitet. Sein Grundsatz: Am wichtigsten ist nicht die Technik, sondern die Emotion. „Ich bin kein Showtänzer, der zeigen will, was er drauf hat. Durch den Tanz bringe ich meine innere Bewegung nach außen.“
Es gehe um eine Ehrlichkeit in der Darstellung. „Natürlich müssen die Sequenzen sitzen, aber wichtiger ist, dass das Material gefühlt wird. Das Ziel der Uni ist nicht, Tanzmaschinen auszubilden, sondern tanzende Persönlichkeiten.“ Dies sei auch der Grund gewesen, die Lateinformation des TSZ Velbert zu verlassen: „Da geht es allein um die Form und dass alle gleich aussehen. Das hat mich nicht weitergebracht. Ich war auch der einzige, der sich strikt geweigert hat, sein Haar mit diesem Sprühzeug schwarz zu färben. Für mich ist Individualität beim Tanz wichtig.“
Paul Hess ist auch privat von Künstlern umgeben: Seine Eltern unterrichten an der Velberter Musikschule, Schwester Nele studiert Cello in Münster, seine Freundin ist Tänzerin am Folkwang Tanzstudio. Er lernte sie 2008 kennen, als er für seine Choreographiearbeit „Gegen Grenzen atmen“ eine Darstellerin suchte.
In dem Stück geht es um den Kampf dreier Frauen: „Sie versuchen, sich von Zwängen zu lösen, fallen aber am Ende in alte Muster zurück. Das kann man mit unseren Lernprozessen gleichsetzen: Man will sich weiterentwickeln und macht dann doch alles so wie immer, mit den gleichen Fehlern.“
Und noch eins macht ihm Sorgen: die Zukunft der Branche. Nicht, weil er künftig wieder als freischaffender Tänzer unterwegs ist, sondern weil die Kultur oft als Nebensache betrachtet werde: „Richard von Weizsäcker hat mal gesagt, dass Kultur so elementar sei wie die Wasserversorgung. Gerade in der jetzigen Zeit, die von Reizüberflutung bestimmt ist, geht die Muße verloren. In Ruhe ein Buch zu lesen oder ins Theater zu gehen, wird immer seltener, obwohl es etwas so Wichtiges ist: Nahrung für den Geist.“