ÖPNV im Kreis Viersen Pünktliche Züge im Kreis sind Mangelware
Kreis Viersen · Zügig geht’s bei den Linien im Kreis Viersen runter – sie werden seit Jahren unpünktlicher, immer mehr Verbindungen fallen ganz aus. Welche Linie hat die rote Laterne?
12.27 Uhr an diesem Montagmittag auf dem Bahnsteig des Viersener Bahnhofs: Auf Gleis 2 fährt nicht ein: der für diese Uhrzeit vorgesehene RE13 nach Hamm. „Zug fällt aus“, steht auf der Anzeigetafel. Der Grund: „Kurzfristiger Personalausfall“. 20 Minuten später sollte eigentlich vom Viersener Bahnhof aus der RB35 nach Mönchengladbach-Hauptbahnhof starten. Die Verbindung fährt zwar, allerdings als Schienenersatzverkehr um 13.15 Uhr.
Wer im Kreis Viersen auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen ist, muss hart im Nehmen sein. In kaum einer Region fallen Züge so häufig aus oder tauchen so oft verspätet auf wie hier.
Die Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in Nordrhein-Westfalen untersuchen kontinuierlich, wie sich das Qualitätsniveau entwickelt. Für die Linien, die den Kreis Viersen anbinden, kennt das Niveau seit Jahren nur eine Richtung: nach unten.
Im vergangenen Jahr waren gerade mal drei von vier Fahrten des RB 33 pünktlich. Um genau zu sein: Die Pünktlichkeitsquote lag bei 74,2 Prozent. Als „pünktlich“ zählt in der Statistik jeder Zug, der weniger als vier Minuten verspätet ist.
Die noch schlechtere Nachricht: Die Pünktlichkeitsquote von 74,2 Prozent war schon der beste Wert der fünf Linien im Kreis Viersen. Der RB35 kam auf eine Pünktlichkeitsquote von 71,4 Prozent, der RE 13 erreichte 71,1 Prozent. Noch schlechter: Der RE42 mit 65,7 Prozent. Die rote Laterne bekam der Niersexpress RE 10. Pünktlichkeitsquote: 63,7 Prozent.
Aus Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Zugbildung bilden die Aufgabenträger für jede Linie einen Gesamtwert. Im vergangenen Jahr kam der RE10 auf 82,6 Punkte von 100. Weil die Ursachen für Verspätungen und Ausfälle so komplex sind, wird auch ein Komplexitätsfaktor eingerechnet. „Zur Ermittlung der Komplexität einer Linie werden insgesamt neun Kriterien herangezogen. Beispielsweise sind dies die Länge des Linienweges, ein vorhandenes Flügelungskonzept (mehrere Zugteile, die unterwegs geteilt oder vereint werden), die Nutzung überlasteter Gleise oder Wechselwirkungen mit dem Fern- oder Güterverkehr“, erklärt ein Sprecher.
Beim RE10 war das Problem gar nicht so komplex, sondern verhältnismäßig simpel: Ein altes Übertragungskabel soll nach der Umstellung auf digitale Stellwerkstechnik andauernde Probleme verursacht haben, teilte die Bundesregierung im April auf eine Kleine Anfrage des Viersener Bundestagsabgeordneten Martin Plum (CDU) mit. Der war angesäuert: „Das Eisenbahnbundesamt ist seiner Kontrollfunktion in keiner Weise nachgekommen. Neun Monate war nur Funkstille zu vermelden, obwohl viele Bahnkunden immer wieder an den Bahnsteigen strandeten, nicht mehr zur Schule, zur Hochschule, zur Arbeit oder nach Hause kamen.“ Erst nach der Kleinen Anfrage im November 2023 sei das Eisenbahn-Bundesamt aufgeschreckt worden.
Erfreulich für Bahnkunden des RE10: Im ersten Quartal 2024 ist die Pünktlichkeit der Linie deutlich gestiegen – 78,3 Prozent der Fahrten sind nicht mehr als vier Minuten verspätet. Das ist der neue Bestwert der fünf Linien im Kreis Viersen. Die rote Laterne hat jetzt der RE42. Nicht mal sechs von zehn Fahrten waren mehr pünktlich. Die Zuverlässigkeit rutschte von 93,7 auf 92,0 Prozent.
Wirft man einen Blick ein paar Jahre länger zurück, ist der Qualitätsverlust noch besser nachvollziehbar. Im Jahr 2021 hatten immerhin drei Linien – RB33, RE10 und RB35 – eine Gesamtwertung von mehr als 90. Im ersten Quartal 2024 erreichte keine der Linien mehr diesen Wert. Der schlechteste Gesamtwert lag damals bei 89,1 (für den RE13). Im ersten Quartal 2024 lag der beste Gesamtwert bei 87,6 (RE10) – und der schlechteste bei 80,1 (RE42). Der schlechteste Pünktlichkeitswert lag im Jahr 2021 bei 76 Prozent (für den RE42). Im ersten Quartal 2024 lag der schlechteste Pünktlichkeitswert bei 59,3 Prozent (RE42). Und die schlechteste Zuverlässigkeitsquote hatte vor drei Jahren der RE42 mit 94,7 Prozent. Heute hat nur der RB35 eine bessere Zuverlässigkeitsquote (98,4 Prozent). Alle anderen Linien liegen darunter. Auf gerade mal 89,2 Prozent kommt der RB33. Und das, obwohl seit kurzem Zugausfälle aufgrund großer Unwetter gar nicht mehr in die Ausfall-Statistik einfließen.
Auf dem Viersener Bahnsteig greift ein Mann zum Handy. „Ich rufe meinen Schwager an, damit der mich zu meiner Arbeit fährt“, erklärt er. „Das habe ich diesen Monat bestimmt schon viermal gemacht.“