Düsteres Relikt aus dem Kalten Krieg

Im unterirdischen Notkrankenhaus am Pestalozziweg hätten 800 Menschen Platz gefunden. Details zeugen noch von der geplanten Nutzung.

Viersen. Modrig und feucht riecht es in den Gewölben des Tunnels am Pestalozziweg. Besser gesagt, darunter. Flackernd gehen die Leuchtstoffröhren an, kaltes Licht flutet die kargen Betonwände. „Länger als 20 Minuten sollte man hier unten nicht bleiben“, sagt Frank Kersbaum, Branddirektor und Leiter der Viersener Feuerwehr. „Der Geruch bleibt sehr schnell für lange Zeit in der Kleidung hängen.“

Rund 2000 Quadratmeter fasst die Fläche des Tunnelsystems unter der Hauptschule Süd in Viersen. 1963 wurde hier vom Katastrophenschutz ein unterirdisches Krankenhaus eingerichtet — ursprünglich sollte es bei Bedarf 800 Menschen aufnehmen können. Der Bund finanzierte den Bau mit. Schutz geboten hätte das Labyrinth aus Tunneln, Kammern und Schlafsälen aber nur im Falle eines Bombenangriffs: „Für Zuflucht vor atomaren, biologischen oder chemischen Katastrophen ist der Luftschutzbunker nicht geeignet“, sagt Kersbaum.

Foto: Knappe

Erbaut wurde das Notkrankenhaus für die Bedrohungen des Kalten Krieges. Untersuchungen, Versorgung von Kranken, Verletzten, sogar Operationen hätten hier durchgeführt werden können. Genutzt wurde der medizinisch ausgestattete Bunker aber nie.

In einem Nebenraum lagert Bettzeug aus den 1960er-Jahren. Die Kartons sind aufgeweicht und ausgebeult, gestreifter Stoff quillt heraus. Krankenbetten wurden damit noch nie bezogen. Unbenutzt blieben zunächst auch die medizinischen Geräte in OP-Sälen und Untersuchungsräumen. „In den 1980er, 1990er-Jahren wurden die brauchbaren Sachen abtransportiert, zum Teil an die humanitäre Hilfe gegeben“, sagt Kersbaum. Damals wurde das Krankenhaus noch nicht komplett aufgelöst, sondern lediglich auf 400 Betten reduziert.

Schon nach den ersten Metern im verschachtelten Tunnelsystem können Unwissende die Orientierung verlieren, trotz Beschilderung an den Räumen. Hinter die dicke Stahltür im Schulgebäude darf aber schon lange keiner mehr. In den 1990er-Jahren begann bundesweit der Abbau von Luftschutzeinrichtungen, nach 2000 wurde auch das Notkrankenhaus am Pestalozziweg aufgelöst. Und: „Selbst die Kinder in der Schule wussten in der Regel nicht, was hinter der Tür steckt.“ Schulbetrieb herrscht aber bereits seit 2012 an der Hauptschule nicht mehr.

In einem Schlafsaal sind noch einige Hochbetten mit Matratzen zu sehen. In der Ecke des Raumes befindet sich eine rote Alarm-Schelle, fast so groß wie eine Bratpfanne. Von den gammeligen Polstern steigt ein schimmeliger, modriger Gestank auf. Von großem Wert ist an dieser Einrichtung nichts mehr. „Das Einzige, was hier noch wirklich nutzbar sein könnte, sind die zwei Generatoren“, sagt Kersbaum. Die beiden großen Dieselaggregate wurden beim Bau mit viel Aufwand in die ausgeschachteten Räume heruntergelassen.

Mit den Maschinen sollte im Bunker über mehrere Wochen eine autarke Stromversorgung möglich sein. An der Oberfläche im Schulhof sind die Lüftungsluken der Generatoren-Räume zu sehen. Auf dem Hof ist neben Asphalt auch eine mit Betonsteinen ausgelegte Fläche zu sehen. „Darunter liegt eine Rampe, über die Fahrzeuge die Patienten anliefern könnten“, sagt Kersbaum. Das Allgemeine Krankenhaus (AKH) Viersen, das auch zur Bauzeit des Notkrankenhauses bereits am heutigen Hoserkirchweg stand, liegt nur knapp zwei Kilometer Luftlinie entfernt von dem unterirdischen Krankenhaus.

Die Nähe ist kein Zufall: „Teil des Notfallkonzepts in den 1960er-Jahren war die Rekrutierung von Personal aus dem AKH, um das Notkrankenhaus schnell in Betrieb zu nehmen“, sagt der Branddirektor.

Was mit den geschützsicheren Räumen in Zukunft passieren soll, ist ungewiss. „Es gibt keine Pläne“, sagt Anette Kempers, Beauftragte für Zivilschutz der Stadt Viersen. Eine Nutzung sei auch deshalb schwer, weil keine ausreichende Lüftung vorhanden ist — Nutzräume kommen daher nicht infrage. Auch eine Zuschüttung oder ein Abriss sind keine Option, da sich über dem Notkrankenhaus die Schulgebäude befinden. Die modrigen Schutzräume bleiben somit weiterhin verriegelt — und ein fast vergessenes Stück Geschichte.